Aufbruch in den Osten

>Bilder ganz unten!

…oder Nordosten?
2 Monate waren wir gezwungen, im heimatlichen Stall zu verweilen, unser „RuGa-li“ wieder auf Vordermann zu bringen und an den weiteren Reiseplänen herum zu tüfteln; die Corona-Pandemie schränkte nicht nur uns, sondern alle extrem stark in der Bewegungsfreiheit ein.

Gegen Mitte Juni war es dann doch endlich so weit. Mit voller Zuversicht brachen wir zum dritten Mal auf, um die weite Welt und weitere Abenteuer zu erleben. Die Warterei machte uns ziemlich zappelig und nervös!

Das Treffen in Riga/Lettland wurde, Corona bedingt, nach St. Gallen/Schweiz verschoben, ab wo wir gemeinsam mit Selina und François die kommende Woche verbringen werden. Die Sprünge waren noch klein da die Grenze für ausreisewillige Touristen noch für wenige Tage geschlossen war.

Doch, auch die Schweiz bieten in der südöstlichen Ecke einiges und wir genossen die Fahrt durchs Bündnerland auf vielen Pfaden, die nicht von den grossen Touristenströmen aufgesucht werden, und die Corona-Zeit liess selbst manchen touristischen Hotspot fast menschenleer erscheinen.
Im Münstertal war dann auch für uns Schluss! Die Grenze ins Südtirol war noch geschlossen und so verbrachten wir eine Zwangsnacht am Fusse des Umbrailpass, eh die letzten Schranken an der Grenze weit oben in den Bergen geöffnet wurden.

Auf dem Stilfserjoch kurven noch wenige Wintersportler über eine fast perfekte Piste und trainierten wohl bereits für den nächsten Winter, während wir auf der gegenüberliegenden Seite zur Dreisprachenspitze hoch stiegen. Verschiedene Gedenktafeln machten uns auf die bewegte Vergangenheit aufmerksam und unser schlechtes Schmugglergewissen machte sich bereits bemerkbar; haben wir wohl zu viel „Schoggi“ dabei?

Im Vinschgau setzte der Touristenstrom langsam ein und nebst Schweizer Kennzeichen waren die Deutschen bereits überall sehr präsent. Die wenig offenen touristischen Infrastrukturen versuchten vermutlich das verlorene Terrain wieder wett zu machen und verlangten relativ hohe Summen für eine Übernachtung auf einer einfachen Wiese. Für uns war der verlangte Preis einfach zu hoch und so fuhren wir kurzentschlossen wieder eine Bergflanke hoch um in einer einsamen Ecke einen Platz für die kommende Nacht zu finden. Hoch über Meran genossen wir die Weitsicht über dem weiten Talboden und einer absolut ruhigen Nacht.

Nach Meran folgten wir den Spuren der Haflinger. Doch bis wir die ersten Vierbeiniger entdeckten, verging einige Zeit und viele Kilometer lagen bereits hinter uns. Morgens hatte ich noch gross erzählt, dass hier noch viele auf den Weiden sein werden wie im Jura die Freiberger. Doch plötzlich zweifelte ich an meinen Erläuterungen – nirgends waren die edlen Pferde zu sehen! Freilaufende Haflinger sahen wir leider keine, doch bei einem Pferdestall bot sich die Gelegenheit an, das Verpasste nachzuholen. Der Besitzer verteilte grosszügig seine Visitenkarten; auch er verspürt vermutlich die Zurückhaltung der Feriengäste und deren Freizeitbedürfnis.

Bozen erreichten wir an einen eher ungünstigen Zeitpunkt. Ans schlendern durch die unzähligen Gassen und shoppen in den edlen Boutiquen hatte wirklich niemand grosse Lust, obwohl diese Stadt ein Einkaufsparadies wäre. Auch passte uns das Verhalten der Leute nicht: Bis vor kurzen waren in ganz Italien die Menschen durch den Lockdown zum Nichtstun in ihren Wohnungen eingesperrt, nun sassen alle dicht gedrängt in den Kaffees oder standen in den Gassen herum.

Über viele Pässe, lange Täler und veränderlichen Wetterverhältnissen erreichten wir den noblen Touristenort Cortina d’Ampezzo. Eigentlich war es sehr schade, dass die Wolken zu tief hingen und die Sicht auf die Felstürme der Dolomiten uns verwehrte. Für mich wäre dies wirklich das Pünktchen auf dem „i“ gewesen, da ich hier vor vielen Jahren meine Finger bei vielen Klettereien wund schürfte.

Auch anderntags war uns die Sicht auf die Drei Zinnen verwehrt; die Wolkenschicht war bereits an den Füssen der Felswände und die Regentropfen hielten uns vor weiteren Outdooraktivitäten zurück. So ging es relativ zügig wieder vom Südtirol zurück ins Tirol. Infolge vieler Strassensperrungen und die Sperrung der Timmelsjoch -Passstrasse, mussten wir den Umweg über den Brenner wählen. Doch auch hier fanden wir unsere Backroads und immer wieder fuhren wir weit über der Talsohle irgendeiner Bergflanke den vergessenen Weilern nach.

Garmisch-Partenkirchen war ein weiteres Ziel bei der Durchkreuzung der östlichen Alpen und; leider blieb uns die Sicht auf den höchsten deutschen Berg ebenfalls verwehrt! Dafür gab es an der Lech ein abenteuerliches Camp und fast schelmisch erreichten wir unseren Nächtigungsplatz durch verschieben der Steine, die extra zur Absperrung hingestellt wurden. Dafür strafte uns wohl das Wetter: Es regnete so stark, dass François und Selina beschlossen im Auto zu schlafen.

Durchs vorarlbergische und die südlichen Ausläufer der Allgäuer Alpen erreichten wir den Bodensee, wo sich bereits der sommerliche Besucherstrom einstellt hatte und das anstehende Wochenende für einigen Betrieb sorgte. Trotz den Corona-Hinweisen hatten wir oft den Eindruck, dass alles vorüber wäre und die Leute – dicht an dicht – durch die Innenstädte schlenderten und kaum Rücksicht auf sein Gegenüber nahmen. Auch die Campingplätze waren bereits übervoll und die Wohnwagen wurden wirklich – Seite an Seite – hingestellt. Wahnsinn!

In Friedrichshafen trennten sich dann unsere Wege: Selina und François mussten wieder in die Schweiz zurück und bei der Arbeit antreten und wir zogen weiter nordwärts. Der gemeinsame Weg mit vielen Gesprächen endete und bereicherte uns gegenseitig; es war einfach eine tolle Zeit!

In einem Zick-Zack-Kurs durchkreuzten wir die Allgäuer Voralpen und erreichten irgendeinmal den Bayrischen Wald mit seinen ausgedehnten Wäldern. Beim Durchstreifen der Landschaft fühlten wir uns erneut fast „wie zu Hause“ und das Kleinräumige vermittelte uns viel Wärme und Charme.

Je weiter wir nach Norden vorstiessen, desto mehr wurden wir immer wieder durch kranke und tote Wälder schockiert. In ganzen Waldstücken stehen hunderte dürre Bäume und vermitteln ein trostloses Bild einer schleichenden Krankheit unserer Umwelt. Ob es unser rücksichtsloser Lebensstiel ist, die vielen Trockenperioden oder falsche Baumarten gepflanzt wurden; wir wissen es nicht, aber das Gesehene stimmte uns sehr nachdenklich.

Der deutsch-tschechischen Grenze folgten wir zuerst Nord-, dann Ostwärts durchs Erzgebirge in Richtung Polen. Die jüngste Nachkriegsgeschichte ist hier allgegenwärtig und vieles zeugt noch aus dieser Zeit; ob in Gebrauch, aufgegeben  oder am Verfallen.

Die Geschichte reicht hier weit zurück und ist allgegenwärtig. Vieles wird liebevoll gepflegt und restauriert. Sei es die alten Bade- oder Kurorte, Wintersportgebiete oder die fast unendlichen Sandsteintürme des Elbegebirges (sächsische Schweiz), wo emsig geklettert wurde.
Doch auch hier im Erzgebirge: Riesige Waldstücke vermittelten einen sehr kranken Eindruck und die dürren Bäume lassen sich nicht wegdiskutieren.

Bis vor kurzer Zeit frassen sich grosse Bagger durch die Landschaft an der deutsch-polnischen Grenze und die Kohle wurde gleich in den naheliegenden Kraftwerken verfeuert. Die riesigen Löcher in der Landschaft sind heute mit Wasser aufgefüllt und werden von den Wassersportbegeisterten rege benutzt. Des Einen seine Freude, des Anderen sein Leid: Hat die abgebaute Braunkohle wohl was mit den braunen Wäldern im Erzgebirge und dem bayrischen Wald zu tun? Doch Energie wollen wir alle und diese muss ja möglichst billig sein!

Beim Wechsel nach Polen tauchten wir wieder in eine neue Welt ein und schon nach der Überquerung des Grenzflusses hatten wir gleich den Eindruck, in einer anderen Zeit unterwegs zu sein. Die Pflege zum Detail fehlt hier sehr und, auch die verlassenen und halb verfallenen Gebäude unterstreichen das Gesehene. Ausserhalb der Ortschaften gibt es weite Flächen in fast vergessenen Landstrichen, die einst vielen Menschen ein Auskommen sicherte. Heute bestellen vermutlich wenige Mitarbeiter eines Landwirtschaftsbetriebes die riesigen Abbauflächen und lassen die Agroflächen zu Monokulturen verkommen.

Auf unserem Weg nach Nordosten legten wir einen Abstecher nach Auschwitz-Birkenau ein, wo uns die Grausamkeit des Menschen kurz einholte. Trotz der geschlossenen Anlagen (Corona-Virus) hinterliess uns dieses Gebiet einen tiefen Eindruck und liess die Gänsehaut über unseren Rücken ziehen. Hier wurden einst Millionen von Menschen wie Müll hin gekarrt und der Vernichtung zugeführt. Und das verrückte an der ganzen Geschichte: Wir Menschen haben immer noch nichts gelernt, es geschieht immer noch!

Ostpolen ist mehrheitlich geprägt von weiten landwirtschaftlichen Flächen und ausgedehnten Wäldern, aber auch von schönen Siedlungen mit wunderbaren Kirchen. Der Glaube sitzt hier noch tief in der Bevölkerung, was sich an den vielen mit farbigen Bändern verzierten Kreuzen und anderen christlichen Symbolen manifestiert. Selbst die Friedhöfe werden durch farbige (Plastik-) Blumen zu wahren Augenweiden in der Landschaft.

Je weiter wir uns gegen das Baltikum näherten, desto hügeliger wurde die Landschaft und bot wieder mehr Abwechslung. Der Wassersport auf den Gewässern war allgegenwärtig und der Radsport spielt bei den Polen wohl eine grosse Rolle. Die Radwege sind gut ausgeschildert und ganze Familien waren per Rad auf ihrer grossen Reise. Für die Mountainbiker findet man in den Wäldern gut ausgebaute Trails und irgendwie bedauerte ich kein Bike dabei zu haben.

Der Übergang in den ersten baltischen Staat – Litauen – war dank Schengen ohne irgendwelches Problem; wir standen einfach in einem neuen Land! Dafür erinnerte uns die Grenze zur russischen Enklave Kaliningrad zurück versetzt an die frühere Zeit, wo es noch überall eine Aus- und Einreise gab, Grenzschranken standen und viel Stacheldraht die Menschen dies- und jenseits des Zaunes an ungewollten Übertritt hindern sollte.
Erstaunlicherweise funktioniert der Güterfluss anscheinend ausgezeichnet. Schwere Züge werden über die Grenzen gezogen, die Lastwagen stehen an den Grenzen in kilometerlangen Schlangen und warten auf die Zollabwicklung der Papiere. Verrückte Welt!

Wir zogen weiter, entfernten uns vom Grenzzaun und folgten der Küstenlinie in nördlicher Richtung. Das Wetter war mehrheitliche ein Mix aus vielen Wolken, Regenschauer und etwas Sonne. Und kaum lachte die Sonne hinter den Wolken hervor, schon standen die Balten in den Badehosen draussen in der Sonne. Abends, sassen sie immer noch leicht bekleidet vor ihren Häusern oder Wohnwagen, während wir unsere Jacken immer mehr zuzogen und nach wärmeren Kleidern Ausschau hielten. Bei Strandwanderungen fanden wir weder Bernsteine noch andere Kuriositäten, dafür wunderbare Küstenabschnitte, wo die Landschaft in einem ständigen Wechsel ist und jeder Sturm neue bizarre Formen zum Vorschein bringt.

Riga/Lettland erreichten wir mit fast einmonatiger Verspätung zum abgemachten Termin, und auch im Zeitplan für unsere Weiterfahrt waren wir etwas in Verzug. Das Nordkap und der Besuch in England sind immer noch in Planung; noch vor dem ersten Schneefall möchten wir über den Polarkreis fahren. Deshalb ging es relativ zügig durch Lettland und Estland, Tallinn entgegen.

Tallinn zwang uns zu einer kurzen Pause; Fährticket besorgen und gewisse Vorräte aufstocken. (…gewisse Getränke sind in den skandinavischen Staaten etwas teurer als sonst wo!) Die Zeit ermöglichte uns auch zu einer ausgedehnten Stadtbesichtigung und dank den Tipps vom Hafenwart, wo wir unser Auto parken und nächtigen durften, konnten wir diese Perle an der Ostsee besonders intensiv erleben. Und dies wäre auch gleich unser Tipp: Tallinn ist mehr als nur eine Reise wert (gemäss Chantal die schönste Stadt der Welt, auch zum lädele)!

Ab Tallinn stachen wir bei starken Regen in die Ostsee hinaus und neuen Abenteuern entgegen.Wir sind gespannt auf die unendlichen Weiten von Finnland.

 

PS: Ich (Tom) werde immer wieder auf die tollen Berichte und Fotos angesprochen. Hier möchte ich gleich noch etwas anfügen: Bei den Berichten und Fotos handelt es ein Gemeinschaftsprodukt; nebst dem Lektorat fügt Chantal weitere Anekdoten bei (…oder streicht allzu persönliches).
Die Übersetzungen ins Englisch und Französisch erledigt für uns die „Maschine“ von Deepl-Translator und werden meist 1:1 übernommen.