>Bilder ganz unten!
Nord- und Westküste
Nach einer kurzen Fährüberfahrt erreichten wir Quistreham, die vorgelagerte Hafenstadt von Caen. Wir genossen auf dem Schiffsdeck die wärmende Sonne bis zum letzten Augenblick, als hätten wir lange auf diesen Moment warten müssen.
Bei der Einreise nach Frankreich waren wir erneut etwas angespannt. Diese „Corona-Geschichte“ schränkte unsere Reisetätigkeiten immer wieder ein und gewisse Massnahmen konnten wir nicht immer ganz nachvollziehen. Wir hatten uns auch schon allmögliche Strategien und Antworten ausgedacht über das „wie und was“. Doch, kaum hatten wir den Pass dem Grenzbeamten gezeigt, schon hiess es; „gute Fahrt und einen wunderbaren Aufenthalt in der Normandie“. Nicht mehr, nicht weniger! Wieso denn diese Angespanntheit?
Die Nord- und Westküste Frankreichs standen bei uns bereits auf der Wunschliste, die wir mit dem Tourenrad erkunden wollten. Unsere Weltreise stellte das ganze Wunschprogramm auf den Kopf und es ging vorerst etwas weiter. Erst die Corona-Pandemie und das ganze Drum-Herum brachten uns wieder auf das alte Vorhaben zurück und so landeten wir ungeplant an der Küste Nordfrankreichs.
Mit dem Tourenrad wäre es zwar viel einfacher als mit vier Rädern, dafür genossen wir diesmal die Unabhängigkeit und die schnellere Fortbewegung. In dieser Hinsicht machte Frankreich einen enormen Wandel und vielerorts wäre ein motorloses Fahrzeug die bessere Wahl.
Wir folgten der Küste westwärts und waren über die sauberen Küstenorte überrascht. Bei einem allfälligen Stopp in irgendeinem Ort standen oft Leute neben unserem Jeep und schon waren wir in einem Gespräch verwickelt. Nach dem „D-Day“ mussten viele Ur-Jeeps hier in der Gegend herum gefahren sein und noch überall sieht man sie; diese einfachen Fahrzeuge, die ab jenem Tag bei der Befreiung dabei waren und irgendetwas von „Unzerstörbarkeit“ symbolisieren.
Vor 76 Jahren mussten sich hier wohl viele Tragödien abgespielt haben. Vor einem Einkaufsgeschäft kamen wir mit einem 82 jährigen Mann ins Gespräch, der uns kurz seine Geschichte jenes Tages erzählte und er froh sei, dass er eine solche Zeit nie mehr erleben musste. Mit etwas Ehrfurcht steuerten wir weiter westwärts und bald hatten wir genug vom Asphaltband. Noch ein kurzes Stück bis zum Campingplatz hinter der Düne und schon stapften wir durch den Sand dem erfrischenden Meer entgegen. Draussen im Meer, mit Blick zum Strand und den unzähligen Bunkerruinen erinnerten wir uns wieder an die Worte des alten Mannes. Was haben wohl die Soldaten am 6. Juni 1944 bei ihrer Ankunft gefühlt? Im Gegensatz zu uns hatten viele das Ufer nie erreicht.
Wir folgten weiter der Küste; von einem Kriegsschauplatz bis zum nächsten Museum über den 2. Weltkrieg war es meist nicht weit, gefolgt von grossen Soldatenfriedhöfen. Bald steuerten wir weg von der Küstenstrassen. Gewisse Geschehnisse sollte man nicht verdrängen, doch wir waren irgendwie froh, nicht immer an diese düstere Zeit erinnert zu werden.
Über Cherbourg erreichten wir die nordwestliche Ecke dieser weit in den englischen Kanal reichende Landzunge und genossen die fast endlose Sicht über das ruhige Wasser. Dass sich in dieser idyllischen Gegend zwei grössere Werke für nukleare Aufarbeiten befinden, war für uns eher überraschend, doch irgendwie steckt auch eine gewisse Logik dahinter; knallt es irgendeinmal, so unsere Vermutung, die französischen Ballungszentren wären weit weg und der Schaden auf ein Minimum beschränkt. Die verstrahlten Kühe auf den Weiden wären wohl das kleinste Übel und viele Länder konnten ihren Atommüll in der verstrahlten Gegend zurücklassen.
Nach so viel Geschichte als auch der neuzeitliche Bedrohung, war die Sicht auf Mont-Saint-Michel wieder etwas beruhigend. Zwar liessen wir den Besuch der Klosterinsel im Wattenmeer aus (wir waren schon in früheren Zeiten schon dort), konnten aber die Insel mit den imposanten Bauwerken von fast allen Himmelsrichtungen her bestaunen. Die ganze Anlage sollte auch einer 14 Meter hohen Sturmflut trotzen und wir waren erstaunt, was hier vor langer Zeit einmal auf dieser kleinen Insel hingestellt wurde. Wahnsinn!
Bevor es hinaus zur letzten Ecke der Bretagne ging, durchstreiften wir San Malo und seine weitläufigen Vororte, wo sich ganze Villenviertel das Beste geben. Die dazugehörigen Strände waren noch recht gut besucht.
Je weiter wir der Küste folgten, desto verwaister waren die Strände. In der Strandnähe machten Schilder auf eine Algenplage aufmerksam und noch bevor man alle Anweisungen durchlesen konnte, kroch der scheussliche Verwesungsgeruch die Nase hoch. Nur noch die wichtigsten Strände wurden täglich von den Algen befreit, bei den restlichen Buchten und Bademöglichkeiten standen einfach grosse Plakate, die auf die Situation aufmerksam machten und das Baden bis aus weiteres verboten sei. Gemäss verschiedenen Umweltverbänden soll diese Algenvermehrung zum grössten Teil von den riesigen Schweinemastbetrieben her kommen, die mit ihrer Unmengen ausgetragener Gülle die Algenvermehrung sehr begünstigen. Die Landwirte sehen sich nicht in Verantwortung, die Politik getraut sich nichts zu sagen und der Konsument will möglichst billiges Fleisch auf dem Teller haben; ein Teufelskreis!
Ganz aussen in der äussersten Ecke der Bretagne, wo sich angeblich ein kleines Dorf dem römischen Imperialismus entgegenstellte – wir haben zwar weder Asterix, Obelix noch Idefix gefunden – schauten wir hinaus in die Brandung des atlantischen Ozeans. Der Himmel war mit Wolken verhangen und die stürmische See liess eine baldige Wetteränderung kaum ausschliessen. Die nächsten Tage blieben zwar noch trocken, doch der kalte Wind aus Nordwesten war alles andere als ein gemütlicher Geselle. Bei den abendlichen Camps hiess es bald wieder einmal Kapuze hochziehen, und die warme Kuscheldecke wurde jeweils sehr früh aufgesucht.
In einem Zick-Zack-Kurs folgten wir der Westküste südwärts, suchten immer wieder einsame Landstrassen, die von der Küste wegführten und durchstreiften so weite Landschaften, wo die Bauern mit riesigen Maschinen ihre flachen Felder bestellten. Es war auch eine Fahrt durch intensiv genutztes Kulturland, gefolgt von weiten Flächen, die der Natur überlassen wurden. Fast den gleichen Eindruck hatten wir beim Durchstreifen der Küstenorte: Teilweise wunderbare Siedlungen, wo das Herz gerne seine Ruhe finden kann, gefolgt von riesigen Ferienanlagen, die ein urbanes Gefühl des Massentourismus in uns weckte.
Als technischer Freak musste ich unbedingt die Schwebefähre, die etwas südlich von Rochefort liegt, besuchen. Diese Art von einem Flussufer zum andern zu übersetzten wurde nicht an vielen Orten umgesetzt und jene von Rochefort soll eine der letzten sein, die noch betriebsfähig in den Sommermonaten die Touristen über die „La Charente“ befördert. Ob diese Schwebefähre nun ein Meisterstreich der Ingenieurskunst zu jener Zeit war, möchten wir nicht in Frage stellen; ich war jedenfalls riesig begeistert von dieser Konstruktion; Technik zum Sehen und Fühlen.
Bis Royan erlebten wir wieder viel Natur und weite Wälder. Zwar wurden die Bäume alle gepflanzt und werden bei genügend Holzvolumen für die Holzindustrie abgeholzt, trotzdem gelang es, viele schöne Ferienorte in diesen Wäldern zu bauen und dem Gast das Gefühl der unendlichen Schönheit zu vermitteln.
In Royan setzten wir mit der Fähre nach Le-Verdon-sur-Mer über und mit der stürmischen Überfahrt setzte der angekündigte Regen ein. Wir folgten dem westlichsten Weg, den wir befahren durften südwärts und waren öfters überrascht, wie viele Verbotsschilder hier überall herum stehen. Bei vielen möglichen Übernachtungsplätzen hingen von weit her zu sehende Verbote. Zum Teil sind diese ganz offiziell, andere wiederum sind eher selbst gemacht und, so unsere Vermutung, von der Jägerschaft fleissig aufgehängt. Und wenn wir schon bei der Jagt sind: In den Föhrenwälder war Stufe „rot“: Die Hunde bellten durch das Unterholz und überall waren sie zu erspähen – die Jäger! Für wild campende Weltenbummler vielleicht nicht gerade der richtige Zeitpunkt, sich irgendwo in einer einsamen Lichtung zu verziehen.
Westlich von Bordeaux änderten wir unsere Reiseroute definitiv. Statt in Richtung Zentralmassiv zu fahren, ging es weiter südlich der Küste entlang. Nebst den schlechten Wetteraussichten hatten wir einfach das Gefühl, möglichst schnell nach Spanien einzureisen. Die täglichen Fallzahlen waren erneut sehr hoch und Grenzen sind, „Corona bedingt“, schnell für Touristen unpassierbar. Inzwischen wussten wir auch, dass eine Weiterreise nach Marokko, unser Wunsch-Winterquartier, nicht mehr möglich sein wird. Somit müssen wir irgendwo im Süden von Spanien oder Portugal unser winterliches Quartier aufschlagen, wo die Temperaturen auch im Januar im ungeheizten Camper einigermassen erträglich sein werden. Eine Alternative zu Marokko wären die kanarischen Inseln. Doch für uns ist eine Verschiffung in der oberen Grenze des Möglichen und, was sollen wir dort. Chantal kann keine grossen Wanderungen unternehmen, mit dem Jeep wären wir in rund ein bis zwei Tagen um eine Inseln gefahren und, es sind Inseln, die man nicht einfach verlassen kann.
So folgten wir weiter der Küste, hinter Sanddünen und weiten Föhrenwäldern, unseren Weg Spanien entgegen. Die Niederschläge waren auch immer wieder heftig, in einem Wechsel mit Sonnenschein und viel Wind. So suchten wir immer wieder Wege, die uns an die Küste brachte, wo die Elemente Wasser und Wind eindrückliche Schauspiele gaben. Die Wellen waren so heftig, dass nur an den wenigsten Orten ein paar unentwegte Surfer sich hinaus in das tosende Wasser wagten.
Dass man bei regnerischen Wetterverhältnissen oft schneller vorwärts kommt als bei Sonnenschein, wo immer wieder Halte für Erkundungen und Besichtigungen eingelegt werden, überraschte auch uns. Bald standen wir im Verkehrsgewühl von Biarritz, wo durch den kräftigen Regenfall sich gewisse Strassenzüge in kleine Bäche verwandelten und das stürmische Meer zur Besichtigung lud. Auch das Zentrum war trotz Dauerregen sehr imposant und die majestätischen Bauten zeugen von einer grossartigen Vergangenheit.
Den Grenzort Irun umfuhren wir weiträumig durch die Berge, so dass wir uns kaum im grossstädtischen Verkehrsgetümmel verirren konnten. Ebenfalls wurden spontane Gesundheitskontrollen seitens der spanischen Behörden angekündigt, die vermutlich nur an grossen Übergängen durchgeführt werden. Deshalb suchten wir uns einen bescheidenen Grenzübergang in den Bergen, wo vielleicht alles noch etwas ruhiger zu und her gehen wird.
Beim Verlassen der Küstenregion änderte sich die Landschaft extrem; nach dem wilden Meer und dem stürmischen Wetter, durchstreiften wir eine wunderbare hügelige Landschaft. Es hätte irgendwo im Tirol sein können und selbst der Bau der Häuser erinnerte uns an die heimische Voralpenlandschaft. Zügig durchstreiften wir diese Gegend und stiegen leicht hinauf in Richtung Hauptkamm der Pyrenäen. Irgendwo dort oben befindet sich die Grenze nach Spanien.
Und dann die Überraschung; wir waren plötzlich in Spanien! Keine Grenzkontrollen, noch sonst irgendwelche Checks oder irgendein Offizieller, der uns nach unseren Absichten hätte fragen können. Einfach in Spanien – Olé; die Reise geht weiter!