Indianerland – östliches Ontario

(Neu; mit Bildern, 3.9.18)

Als Reisender besitzt man eine gewisse Unruhe in sich; kaum sitzt man irgendwo ein paar Tage, so will man weiter; die innere Unruhe treibt fürs Weitergehen an.

Nach ein paar erholsamen und schönen Tage bei unserer Verwandtschaft in Pembroke packten wir unsere sieben Sachen zusammen und folgten dem Ottawa-River in nordwestlicher Richtung in die Weiten des Landes. Doch, bereits …bei Rapides-des-Joachims hatten wir vom Teerband genug und bogen in die Z.E.C.‘s (zones d’éxploitation contrôles) von Pontiac und Témiscamingue – beide in Québec – ab. Durch weite Waldlandschaften, gesäumt von unzähligen Seen und wilden Flussläufen, loste mich Chantal über unzählige Holzer- und Jägerwege, immer begleitet von einer gewissen Unsicherheit, ob wir überhaupt durchkommen werden oder nicht. Spätabends und bei strömenden Regen erreichten wir wieder die Zivilisation. Auffällig war die riesige Industrieanlage, mitten im Busch, wo aus den vielen Holzstämmen der weltweite Hunger nach Zellulose gestillt wird.

Wir folgten wieder dem Teerband in südwestlicher Richtung; wieder Wälder und nochmals Wälder. Die wenigen Ansiedlungen waren jeweils kurze Abwechslungen von einer gewissen Monotonie in der Wildnis.

North Bay galt einst als wichtiger Punkt bei der Erschliessung der weiten Prärie vom heutigen Ontario und war im Handel mit der damaligen einheimischen Bevölkerung ein wichtiger Knotenpunkt. Als Handelsgut galten Felle und andere Produkte aus der Natur, wobei die Handelsbeziehungen vermutlich eher auf einer einseitigen Gewinnmaximierung und Ausnützung der Gegenseite stand. Heute wird der Ort eher vom Durchgangsverkehr niedergewalzt und ladet kaum zum Verweilen ein. Auch für uns bot der Ort kaum etwas für ein längeres Verweilen und deshalb bogen bald einmal nach Westen ab.

Auf der Weiterfahrt nach Westen folgten wieder weite Landschaften mit Wäldern, Seen, kleinere Ansiedlungen und wiederum riesige Farmen, mit noch grösseren Silos und Monster-Traktoren. Die Viehwirtschaft ist teilweise dem Ackerbau gewichen, und bereits staubten auf unzähligen Feldern die Mähdrescher durch die weiten Felder.

Kaum hatten wir uns an den Anblick der Farmen gewohnt, erreichten wir Sudbury, einem Ort, wo einmal wirklich nichts war als Wald und noch einmal Wald. Heute holen die Mineure in Sudbury Nickel aus dem Boden und machten den Ort zum weltweit grössten Nickel-Produzent. Die largen Bestimmungen aus der früheren Zeit, bescherten den Ort mit immensen Umweltproblemen, und noch heute müssen grosse Anstrengungen unternommen werden, um die früheren Sünden und Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu reduzieren, bzw. zu beheben. Dafür trainierten einst in den weiten Aushubhügeln die Astronauten der ersten Mondmission und hauchten der öden und toten Landschaft vielleicht ein gewisses mythisches Leben ein………

Nach dem Verlassen des Highways, der weiter westlich führt, erreichten wir endlich das lang ersehnte Land der vielen Indianergruppierungen. Der nördliche Teil des Huron-Sees ist mit unzähligen kleineren und grösseren Inseln und Halbinseln versehen. Hier liessen sich viele „Urmenschen“ – heute als First Nations benannt – nieder und geben der Gegend einen mystisch-spirituellen Hauch. Wir hatten viel darüber gelesen und waren gespannt, was wir vorfinden werden.

Vielleicht waren unsere Erwartungen auch etwas zu hoch und die folgende Enttäuschung entsprechend. Auf Manitoulin-Inseln befinden sich heute noch 6 unterschiedliche „Stämme“; doch die heutigen Indianer leben in Häusern und gehen in der Regel einer Beschäftigung nach. Die traditionellen Anlässe, wo auch die Bleichgesichter zugelassen sind, werden nach ihren Rhythmen abgehalten und von Folklore kann nicht gesprochen werden. Wer sich etwas mehr Zeit nehmen kann, der bucht gegen entsprechende Dollars spezielle Touren und Abenteuer umso das frühere einfache Leben der Ureinwohner am eigenen Leibe zu erleben, inklusiv klimatisiertes Tipi. Leicht enttäuscht zogen wir weiter. Vielleicht hatten wir auch eine Art „Ballenberg“ erwartet, wo Vergangenes zur Schau getragen würde.

Die weiten Landschaften zwischen Huron- und Erie-See sind heute fest unter weisser Hand. Vermutlich wurde die Urbevölkerung bald einmal von den Siedlern von den Feldern und Ufernahen Gebieten vertrieben. Während die Bruce-Halbinseln ein Ferienparadies ist, wo man fast nirgends mehr zwischen den vielen Ferienhäuser und -anlagen an den See gelangen kann, folgten bald wieder grosse Farmen. Für viele Kanadier aus den grossstädtischen Gebieten sind drei- und mehrstündige Autofahrten ins Grüne kein Problem und so werden – nebst den riesigen Preiserhöhungen auf Boden – weite und unberührte Landschaften zugebaut.

Erstaunlicherweise liegen in diesen zugebauten Zweithausgegenden in der Ufernähe immer wieder kleine Oasen, die als nationaler oder provinzialer Park ausgewiesen sind und ein abtauchen in unberührte Naturzulassen zulassen. Auch wir erfreuten uns immer wieder über diese Parks und tauchten in die kleinen grünen Oasen ein, was auch die vielen Kanadier auch immer wieder gern tun, um Natur zu erleben.

Nach unzähligen Kilometer durch weite Farmlandschaften und Ortschaften, die ihren Namen von England „entliehen“ haben, erreichten wir den Erie-See. Von der Südküste staunten wir in die Weite des Sees und den Sandböschungen, die Meter um Meter abbrechen und im See versinken. Noch vor Jahren soll der Erie-See mehr einer Kloake geglichen haben als einem See mit vielen maritimen Leben.

Die Abwässer der Grossindustrien aus nordamerikanischen und kanadischen Industriemetropolen, sowie der vielen Menschen, belasteten das Gewässer extrem stark und nur Dank grossen Anstrengungen konnte man die Lage wieder in Griff bekommen. Trotzdem wird vom Verzerr von Fisch und anderen Produkten aus dem See abgeraten. Die vielen Tafeln an den Ufern weisen immer wieder auf diese traurige Tatsache hin.

Bald tauchten wir in den grossen Touristenstrom um Niagara ein und trotz des Rummels sind die gleichnamigen Fälle immer ein Besuch wert. Und, obwohl viel Wasser für die Stromproduktion abgezweigt wird, waren für uns die Fälle erneut ein mythisches Ereignis. Gemäss unserem Buch stürzt hier die Wassermasse von einer Million Badewannen pro Sekunde 100 Meter in die Tiefe. Und auch hier: für Dollars kann man fast alles haben und machen, aber diesmal ohne uns.

Wir folgten dem Wasserweg gemächlich in tiefere Lagen und erreichten die Ebenen um Niagara-on-the-Lake und St.-Catherines, den Gemüse- und Weingarten Kanadas. Bei fast gleichen Bedingungen wie in der Provence, gedeihen hier Säfte, die Weltruhm erreichen und laden zu manchen Genussrunden ein. Na dann: „Prost und auf ein langes Leben!“

Das Landschaftsbild änderte sich beim Erreichen von Hamilton schlagartig. Schwerindustrie und Bürotürme veränderten die Landschaft. Bis Toronto folgte eine Agglomeration nach der andern; am Ontario-See liegen die Orte und Villen, im Hinterland die Industriegebiete, die vielen Menschen Arbeit geben und zeitweise für chaotische Situationen sorgen. Auch wir waren ein Teil davon und kämpften uns durch die Häuserschluchten von Toronto.

Nur dank Satellitenunterstützung fanden wir in 4 Std. den Weg aus diesem Dschungel und irgendeinmal spätabends einen Ort, wo wir in einem Park unsere Nacht verbringen konnten.

Wir liessen die Wolkenkratzer und Strassenschluchten, die vielen Menschen und ihr emsiges Treiben hinter uns und erreichten wieder die weiten Landschaften, so wie wir uns Europäer Kanada vorstellen; Felder und Wälder, beschauliche Orte und tolle Menschen. Nach dem südlichen Teil des Algonquin-Nationalpark wollten wir wieder gewisses Abenteuer. Über unzählige Neben- und  Buschwege suchten wir den Kitzel der Pioniere aus vergangener Zeit bis es für unser Jeep zu viel wurde und zur Umkehr zwang.

 

Zufrieden erreichten wir wieder unsere Verwandtschaft auf der „Île des allumettes“ und Pembroke, genossen wieder ein paar Tage in einer entspannten Atmosphäre und bereiteten uns für unsere Weiterfahrt durch den frankophonen Teil vor; es musste auch einiges am Jeep herumgeschraubt werden.

Wir sind gespannt, wie uns Québec mit all seinen Facetten überraschen wird.