Labrador – der einsame weite Norden

Von Neufundland erreicht man eigentlich nicht Labrador, sondern den Fährhafen von Blanc-Sablon, der in Québec liegt.

Bevor es weiter nach Nordosten ging, folgten wir dem kurzen Strassenabschnitt nach Westen in eine fast menschenleere Gegend. Wenige Schneefelder lagen noch an Geländevertiefungen und –einschnitten, auf den Übergängen von einer Siedlung zur andern war neben den Granitplatten nur spärlicher Kleinwuchs vorhanden, alles mit vielen kleineren und grösseren Gewässern durchzogen, dessen Wasser über unzählige Wasserfälle ins Meer hinunter fliessen.

In den wenigen Dörfern und Ansiedlungen leben heute ganzjährig nur noch wenige Menschen; viele sind weggezogen, oder haben nur noch ihren Zweitwohnsitz in dieser weiten, aber vermutlich sehr unwirtlichen Gegend. Jedenfalls muss das Leben hier sehr hart sein: im Winter die Kälte, im Sommer Wind und Wetter und – Millionen von fliegenden Plagegeistern. Jedenfalls hatten wir unsere Mühe und wussten manchmal wirklich nicht mehr, wohin wir eigentlich noch hätten fliehen können. Manchmal brachte etwas Wind bereits eine gewisse Erleichterung, doch schon das kleinste Nachlassen bescherte uns gleich wieder X weitere Bisse dieser kleinen Plagefiechern.

Bald folgten wir den Labrador Straits zuerst in nordöstlicher, dann nördlicher Richtung den verschiedenen Ansiedlungen, die alle einst als Walfang- und verarbeitungsorten der alten Welt dienten. An verschiedenen Orten wird auf die harten Arbeitsbedingungen aus dieser vergangenen Zeit hingewiesen und die Leute stark ausgebeutet wurden.

Vom Walfang sind nur noch Ruinen, mit Ausnahme von Battle Harbour, übrig und die wenigen Leute leben vom Lobster- und Fischfang, an wenigen Hafenmauern sind noch grössere Fischerboote festgemacht.

Ab Port Hope Simpson folgte dann ein langes Streckenstück über eine nicht asphaltierte Strasse durch die Weite von Labrador nach Hope Valley-Goose Bay. Eigentlich verrückt, was wir Menschen in eine solche Landschaft bauen; einfach ein Wegband quer durch eine menschenleere Gegend, wo noch bis vor kurzer Zeit nur Natur und eine Tierwelt war, vielleicht ab und zu ein Jäger. Hunderte von Kilometer staubten wir durch endlose Wälder, Flussläufen entlang und unzähligen kleineren und grösseren Seen. Teilweise führte die Strasse den Flussläufen entlang, stieg wieder auf den Bergrücken an und folgte diesem, so dass man immer wieder in die Ferne schweifen und sich über die riesige Landschaft einen Eindruck verschaffen konnte.

Die vielen Mücken liessen einen Aufenthalt oder eine Nacht in dieser eigentlich grossartigen Landschaft kaum zu, und so düsten wir kurzentschlossen zur nächsten menschlichen Oase an der „Goose Bay“.

Ab Happy Valley-Goose Bay führt ein Highway über mehrere hundert Kilometer in westlicher Richtung an die Grenze zu Québec. Auf circa halber Wegstrecke liegt Churchill-Falls, wo das Smallwood-Reservoir liegt und diese unerschöpflichen Wassermassen zu Strom veredelt werden und den einst grossartigen Churchill-Fall trocken legten. Auch weiter unten wird der Churchill-River nahe bei Happy Valley-Goose Bay gestaut und die elektrische Energie über weite Übertragungskabel in den Westen transportiert.

Und trotzdem; obwohl geteert, gesäumt von den Übertragungsleitungen, waren es wieder interessante Kilometer durch eine fast menschenleere Gegend, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und mit viel Glück auch ein Bär über die Strasse watschelte.

Am Ende des „Labrador-Highways“ flogt Labrador City ­– eine Stadt mitten in der Wildnis, wo heute im Tagbau Eisenerz abgebaut wird und ganze Berge versetzt werden.

Der menschliche Hunger nach Rohstoffen und Energie hauchen manchmal verlassenen Gegenden ein anderes Leben ein – zum Guten wie auch zum Schlechten.