Der Tag X ist gekommen! Während Chantal ruhig ihr Frühstück genoss, konnte ich meine Anspannung nicht ganz verbergen. Habe ich doch in den letzten Tagen allerhand Geschichten über den Grenzübertritt gelesen: Würde man unsere Fracht genauer unter die Lupe nehmen, dann könnte uns das Lachen vielleicht bald vergehen.
In wenigen Minuten nach unserer Abfahrt vom Zeltplatz – wir reinigten noch extra unseren Jeep – erreichten wir den kanadischen Posten. Die anwesende Beamtin hatte mit unserem Wunsch, dass sie die Ausfuhr unseres Fahrzeuges im Pass oder sonst wie vermerken sollte, ihre Mühe und es war gleich klar, dass wir kein alltäglicher Fall waren. Jedenfalls hofften wir, dass alle Papiere in Ordnung sind und der Jeep zolltechnisch nicht in Kanada zurück bleiben musste.
Nach wenigen Metern erreichten wir den US-Grenzposten, der buchstäblich auf der grünen Wiese lag. Gleich bei der Einfahrt ins Gelände blitzte uns der erste Fotokasten an, und wir wurden mit ernster Miene gleich ins Büro beordert. Rückblickend darf ich aber sagen, dass die ganzen Formalitäten und Kontrollen sehr zuvorkommend waren und der Beamte einfach seine Arbeit erledigte. Er war auch gegenüber unseren Reiseplänen und Zeitrechnungen sehr fürsorglich und mahnte uns mehrfach, dass wir unter keinen Umständen den Ausreisetag Ende März überschreiten dürften, da dies alle späteren Einreisen zu Nichte machen würde.
Nach etwa einer halben Stunde wünschte er uns alles Gute und: „Have a good time and enjoy your trip in the States!“
Gut gelaunt kurvten wir los über Felder und Wälder zum nächsten Ort in Maine. Der erste Eindruck war auch intensiv und bald lachte uns die Sonne entgegen; hurra, wir sind da.
Die Musik im ersten Einkaufszentrum hätte nicht treffender sein können; wir hörten Ninas „99-Luftballons“ aus den Deckenlautsprecher. Aber auch von der allgemeinen Sauberkeit in den Dörfern, an den Strassen und selbst um die einzelnen Häuser überraschte uns positiv. In Kanada liegt einfach alles irgendwie herum und hinterlässt einen etwas unordentlichen Eindruck; hier ist es einfach aufgeräumt.
Trotz der Kälte, packte uns wieder die Lust für Neues und eine schnellstmögliche Reise in den Süden wurde gestoppt. Wir entdeckten den Baxter-State-Park und für die folgenden Tage war Sonnenschein angesagt.
Der ganze Norden von Maine ist, nebst Landwirtschaft, ein riesiger Wald und mitten in dieser Landschaft liegt der State-Park mit dem höchsten Gipfel vom Bundesstaat. Unser erster Halt war auch ausserhalb des Parkes in einem Monument-Park, wo man seine „motorischen“ Gelüste auf alle Arten ausleben kann und darf. Die Karten und Proschüren an der Rezeption des Campingplatzes versprachen jedenfalls einiges mehr als wir dies uns je hätten vorstellen können.
Die Wetteraussichten hielten was sie versprochen hatten, und wir erlebten den Baxter-Park von seiner schönsten Seite. Der Ranger beim Eintritt gab uns noch verschiedene Tipps und Vorschläge auf unsere Tagestour und schon waren wir draussen in der ruhigen Landschaft. Im Park gelten andere Regeln als ausserhalb und wir genossen die wunderbaren Highlights an den verschiedenen Punkten. Die Wälder wechselten ihr Blätterkleid und verzauberten fast alle Ecken in schöne Farbteppiche und das Sonnenlicht liess die Farben speziell leuchten.
Das letzte Highlight erlebte ich beim Marsch zu einem Wasserfall etwas abseits der Touristenpfade, wo kurz vor dem Erreichen des kleinen Niagara-Falls sich etwas bewegte. Zuerst meinte ich, dass irgendein Murmeltier das Weite suchte und genoss, am Bach angekommen, den wunderbaren Ausblick, als ich plötzlich einem Luchs – wenige Meter vor mir – in die Augen schaute. Leicht schockiert betrachtete ich das Tier und genoss den kurzen Augenblick, bevor es definitiv das Weite suchte. Für so etwas reicht die Zeit kaum der fotografischen Festhaltung, doch die Erinnerung bleibt tief in mir.
Dann verbrachten wir einen kompletten Autotag! Petrus öffnete anscheinend alle Schleusen und liess in Maine einige Flüsse und Gewässer über ihren normalen Pegel steigen und die erneut frischen Temperaturen liessen uns wieder zittern. Immer beim Verlassen des schützenden Daches machte sich sofort der aufgeweichte Boden aufmerksam und unser Wunsch, so schnell wie möglich in den Süden wurde wieder stärker.
Die Südküste von Maine – ihre Riviera – wo fast jeder historische Ort den nächsten übertrumpft, aber auch die Landschaften dazwischen sind wie aus dem Bilderbuch. Doch hinter der Windschutzscheibe und bei surrendem Scheibenwischer machte alles nur halbe Freude.
Doch irgendwo sahen wir in den dunklen Wettervorhersagen plötzlich ein grosses Sonnenloch! Wir änderten unsere Pläne umgehend und es ging wieder nordwärts in die White-Mountains. Die Geschichte dieses Parks könnte fast jene unseres Nationalparks sein; zuerst wurde die Natur komplett beraubt, bis sich einige Persönlichkeiten für die Natur einsetzten damit wir heute diesen Park so erleben können.
Wir standen zwar am Fuss des höchsten Berges von New Hampshire, liessen aber die Bergfahrt mit der Zahnradbahn und Diesellokomotive aus. Dafür genossen wir die Fahrt wieder quer durch den Park zurück und an diesem Freitag waren wir nicht die einzigen, die diesen herrlichen Herbsttag genossen.
So erreichten wir die Atlantikküste auf einem anderen Weg als geplant und schon standen wir vor der ersten amerikanischen Grossstadt. Da es das letzte Wochenende war, an welchem die meisten Campingplätze offen hatten, gestaltete sich die Suche nach einer Bleibe etwas schwierig und am Schluss begnügten wir uns mit einem Parkplatz in einem staatlichen Park.
Für den Besuch von Boston wählten wir die Anfahrt mit der Fähre und so erlebten wir bereits bei der Hinfahrt das Ausmass amerikanischer Städte. Diese Stadt hat auch etwas sehr sympathisches an sich: die Strassen im Zentrum sind nicht im Viereck angeordnet, sondern so wie die Stadt einst gewachsen ist. Auch darf Boston seine wichtige Rolle der Unabhängigkeit von den Briten für sich proklamieren, und dies spürt und sieht man in der ganzen Stadt. Solche weisen Vordenker aus einstiger Zeit würden vielleicht der heutigen Welt wieder gut tun.
Mit vielen Eindrücken kehrten wir wieder durch die Hafenbucht zurück zu unserem „Haus“, das schön brav auf dem Hafenparkplatz in Winthrop uns erwartete.
Schon der Reiseführer macht auf das schwierige Autofahren in Boston aufmerksam. Trotz Columbus-Tag war es sehr anstrengend durch dieses amerikanische Verkehrsgewühl den richtigen Weg zu finden. Wir wollten einfach noch die letzten Meilen des historischen Weges und den Hügel von Boston besuchen, wo einst viel Blut für die Unabhängigkeit floss.
Mitte Nachmittag fanden auch wir den richtigen Weg aus dem Grossstadtdschungel und wurden noch von einer lokalen Demonstration überrascht; die Leute machten ihren Unmut der schlechten Jobbezahungen und der „Working Poor“-Generation kund.
Nachdenklich folgten wir südwärts der Küste der Halbinsel – oder ist’s gar eine Insel? – Cape Cod entgegen: Und diese Leute sollen hier arm sein? Schon auf dem „Festland“ waren wir sehr beindruckt von der kompletten Vermarktung dieses Küstenstreifens: eine Villa und Ferienresidenz folgte der andern und die Orte waren entsprechend herausgeputzt. In den lokalen Häfen lagen eine Jacht nach der andern!
Auf Cape Cod folgte noch eine Steigerung des bisher Gesehene: die Dörfer und Städte sind alle sehr sehenswert; gewisse Dinge sind bereits so kitschig, dass sie wieder schön sind. Nebst all den vielen Häusern ist fast die halbe Insel Schutzgebiet, und riesige Dünen zieren meist den Hintergrund.
Als Novum gibt’s – im Naturschutzgebiet! – einen Jeep-Trail, der sich von der nördlichen über den östlichen Küstenabschnitt durch die Dünen schlängelt, und gegen entsprechende Dollars erhält man auch das Permit. Leider erlaubten uns unsere Verletzungen momentan keine solchen Aktivitäten. Chantal und ich sind beide an der rechten Hand, resp. Handgelenk/Finger verletzt und hätten so unseren Jeep nie aus dem Sand ausgraben können.
Wieder zurück auf dem „Festland“, schlängelten wir mehrheitlich der Küste entlang, genossen ab und zu einen Abstecher auf eine Landzunge, andere liessen wir aus und suchten im Landesinnern etwas Abwechslung von den vielen Villen und grosszügigen Landsitzen.
Ein Hurrikan im Süden beeinflusste die Wettersituation an der Ostküste erneut sehr stark, und dunkle Wolken deuteten bald einmal nach Regen. Und so erlebten wir Connecticut wie die meisten Amerikaner – auf der Durchreise von West nach Ost, oder umgekehrt.
Dass es so stark und lange „Schütten“ kann, wollten wir bisher nicht wahr haben, aber es tat es! Und trotzdem; nicht Interstate oder eine andere Schnellstrasse, sondern schön unseren Genusswegen entlang genossen wir die Landschaft, Dörfer und Kleinstätte: Auch bei Regen, egal wie stark!
Ab New Haven war’s dann endgültig vorbei mit genüsslichen „Crusen“ auf der Landstrasse. Eine Stadt folgte auf die Nächste und trotz sintflutartiger Regenfälle war auf den Strassen einiges los. Auch änderte sich die zuvorkommende Fahrweise der Amerikaner schlagartig und städtische Strassenmanieren forderten uns enorm.
In den vielen Vorstädten um die New Yorker Metropole gab’s für uns Weltenbummler auch keine grossen Möglichkeiten mehr für freies Übernachten noch irgendwelche Campingplätze. Die abendlichen Suchereien führten immer wieder zu nervenaufreibenden Momenten und es wurde mehrmals spät, bis wir unser Zelt aufklappen konnten.
Die Fahrt von Greenwich zu unserem gebuchten Campingplatz waren lächerliche 60 km Luftlinie, mussten zwar einen kleinen Umweg über Manhatten (NY) fahren und dauerte ganze 7 Stunden. Dafür konnten wir im „Stop and Go“-Verkehr bei Sonnenschein die Fahrt durchs Zentrum von der City aller Cities geniessen. Doch gleich vorweg; für schwache Nerven ist eine solche Durchquerung nichts und stellte selbst bei Chantal und mir alles bisherig erlebte in Schatten.
Beim Verlassen von Manhatten nach Brooklyn setzte auch bereits der zusätzliche Feierabendverkehr ein und die Sonne stand bereits tief, als wir in der Jamaica-Bay eintrafen, wo irgendwo auf einem stillgelegten Flughafen unsere Bleibe für die nächsten Nächte liegen sollte.
Kaum von der Hauptverkehrsachse abgebogen, begann unser Jeep mit komischen Ruckelbewegungen und Stottern ein neuartiges Eigenleben zu führen. Irgendetwas Mechanisches gab laute Geräusche von sich und im Schritttempo, bei freier Strasse (!), bewegten wir uns dem Schlafplatz entgegen.
Lange in die Nacht hinein Rätselten wir über das mögliche Übel und wie wir dieses Problem schnellst möglichst lösen können.
Momentan liegen wir, trotz der Nähe fernab unserer Kommunikationsmöglichkeiten (…u.a. kein Internet noch Tel.-Verbindung!) und das bevorstehende Wochenende macht eine schnelle Lösung nicht einfacher.
Mit grosser Spannung und Unruhe legten wir uns früh ins Bett: Vielleicht bietet New York auch hier eine unkonventionelle Lösung?