Der Empfang war eher kühl, fast fröstelnd und es regnete einiges vom Himmel. Was für die einheimische Bevölkerung nach wochenlanger Trockenzeit als wahrliches Geschenk betrachtet wurde, empfanden wir eher als kalte Dusche.
New Brunswick, das die Kanadier selbst eher links liegen lassen als dort irgendwelche Aktivitäten auszuüben, ist die einzig offizielle zweisprachige Provinz Kanadas.
Kaum angekommen, entdeckte Chantal den wunderbaren Namen „Val-d’Amour“ und sofort kurvten wir ein – selbst bei Regen – wunderbares Tal hoch. Um nicht den gleichen Weg zweimal zu befahren steuerten wir über Wald- und Wiesenwege im küstennahen Gebirgszug, wo bei schönen Wetter normalerweise die Quadfahrer unterwegs sind.
Abends richteten wir uns in der Nähe der Chaleur Bay auf einem Campingplatz ein, mussten aber bald den Schutz eines nahen Unterstandes suchen; wir kapitulierten vor Wind, Regen und Kälte.
Nach dem Regen scheint bekanntlich die Sonne. Jedenfalls lachten uns die ersten wärmenden Strahlen bereits sehr früh an und wir waren bereit für weitere Erkundungen südlich der Chaleur-Bay.
Wir folgten der Küstenstrasse nach Osten und waren über die neue Gegend überrascht. Die verträumten Dörfer und Siedlungen machten auf uns eher einen verschlafenen Eindruck – beinahe jedes zweite Haus wird zum Verkauf angeboten.
Der Nordostzipfel des Bezirkes Gloucester ist fest in der Hand der Acadier, die einstigen französischen Siedler in der neuen Welt, die nach der französischen Niederlage der britischen Krone den Schwur verweigerten und dies bis in die heutige Zeit mit Nachteilen hinnehmen müssen. Sie wurden auch massenweise durch die Briten in andere Gebiete oder gleich zurück nach Frankreich deportiert.
Heute sieht’s etwas besser aus; gewissen Dörfer und Städte sind fast französischer als jene in Frankreich. Kilometerweise sieht man nur „rouge-blanc-bleu“ mit dem gelben Stern, aber nirgends eine kanadische Flagge!
Nach so viel Frankreich (!) erholten wir uns im Kouchibouguac-Nat.-Park mit einem längeren Paddelausflug mit dem Kajak und einer Biketour. Durch das Paddeln, aber auch die Biketour – auf einem speziell angelegten Trail durch den Wald, der wirklich wunderbar zu fahren war – spürten wir unsere Körper doch noch eine gewisse Zeit; das Autofahren ist vermutlich nicht die beste Vorbereitung für die körperlichen Aktivitäten. 🙂
Durchs Hinterland, so dass wir Moncton umfahren konnten, erreichten wir Gebiete, wo eine extreme Landflucht herrscht. Viele Gebäude sind verlassen und andere Häuser sind schon eingestürzt. Auch grössere Landwirtschaftsflächen liegen brach da und der Wald erobert die einst gerodeten Flächen wieder zurück.
Über verwinkelte Pfade und Wege – schon verrückt, was unser Jeep so alles kann – erreichten wir die Fundy-Bay. Im gleichnamigen Park liessen wir uns wieder etwas länger nieder. Während Chantal einen Tag mit putzen, waschen und chillen verbrachte, unternahm ich eine Biketour im Park und wer seinen Untersatz liebt, der trägt auch gerne sein Radel ein paar Kilometer den Berg hoch.
Die Fundy-Bay ist auch bekannt für den höchsten Tidenunterschied weltweit und formt durch die gewaltige Wasserbewegung die Küste besonders stark. Sehr eindrücklich waren die Hopewell-Rocks, oder auch Blumentöpfe genannt, die bizarr im Wasser (Flut), resp. am Strand (Ebbe) stehen.
Die bekannte Gezeitenwellen erlebten wir leider nie, sollten aber sehr eindrücklich sein, wie die erste hohe Welle der Flut den Schlamm überspühlt.
Bei einem erneuten Regentag besuchten wir kurz das Fort Beauséjour, das seinerzeit von den Franzosen gebaut und kurz darauf von den Engländern erobert wurde. Der Blick vom Fort musste schon damals überwältigend gewesen sein und vielleicht der Grund, wieso man diese Festung haben musste.
Wir überquerten die Provinzgrenze zu Nova Scotia – auch ein verregneter Tag – und suchten sofort die erste Ausfahrt vom Highway; Backroads waren angesagt.
Wir umrundeten die Cobequid-Mountains östlich, erreichten deren südliche Ausläufer und genossen die Fahrt auf der abwechslungsreichen Strasse. Das ständige Auf und Ab, die ständigen Richtungswechsel bescherte uns jedes Mal mit neuen Eindrücken.
Eindrücklich waren die riesigen Heidelbeerfelder. Ganze Hügelzüge sind mit diesen Stauden bewachsen und werden entsprechend maschinell bearbeitet. Um die Gegend von Truro gibt’s auch Erdbeerfelder, die unser Vorstellungsvermögen gleich sprengten. Aber auch weitere Früchte gedeihen in dieser Gegend wohl ausgezeichnet und das Minas-Basin, ein östlicher Zipfel der Fundy-Bay hat wohl einen sehr positiven Einfluss auf Früchte und Gemüse. Selbst die Weingenüsse kamen zu kurz und die einheimischen Gewächse mundeten uns ausgezeichnet.
Wir durchquerten Nova Scotia auf vielen Neben- und „Hinterwegen“ und liessen Halifax grosszügig im Osten liegen. Wir erreichten bald einmal die Südküste mit bestens vertrauten Namen wie Liverpool, Brooklyn, Westberlin, usw.
Nebst wunderbaren Landschaften, gesäumt von vielen kleinen Städten und Dörfern, lernten wir auch einiges aus der näheren Vergangenheit, den Kriegen in Amerika und die Abschaffung der Sklaverei. In Nova Scotia wurden viele der schwarzen Loyalisten angesiedelt. Doch für die befreiten Schwarzen war’s wie; „vom Regen in die Taufe“. Die Engländer überliessen ihnen schlechtes oder unzureichendes Land und beschnitten die Leute, die eigentlich an ihrer Seite im Unabhängigkeitskrieg kämpften, noch weit in die Neuzeit hinein.
Nachdenklich verliessen wir die besuchten Orte und folgten weiter der Küstenstrasse und den vielen Buchten bis weit in abgeschiedene Küstengebiete. Manchmal scheiterten wir auch an einem unpassierbaren Weg, oder standen plötzlich vor einem privaten Grundstück, wo mit grossen Verbotsschildern unsere Weiterfahrt beendet wurde.
Dafür fanden wir Buchen und Strände mit weissem feinem Sand und abgelegene Orte, wo weit und breit keine Menschenseele war. Leider war‘s fürs baden definitiv zu spät.
In den vielen Süsswasserseen, landeinwärts bei der Lobster-Bay, östlich von Yarmouth, wimmelte es von Zugvögeln, die sich für eine weitere grössere Meerüberquerung noch einmal erholten und uns wunderbare Beobachtungen bescherte.
Auch wir sind eigentlich „Zugvögel“, zwar erdgebundene und in einem Vehikel unterwegs, drängt – langsam aber sicher – das Weitergehen in wärmere Gebiete; die Abende wurden immer frischer und der Regen begleitete uns immer öfters.
Eine letzte Nacht verbrachten wir auf Long-Island, die weit in die Fundy-Bay hinaus ragt. Das Campfeuer konnte uns nicht mehr ganz aufwärmen und selbst der wunderbare Sternenhimmel konnte uns nicht mehr draussen halten; der Schlafsack war einfach wärmer.
Eine Fähre brachte uns wieder zurück nach St. John/New Brunswick, wo wir aus einer verträumten Welt zurück in eine Industriemetropole katapultiert wurden.
Das Zentrum mit seinen alten Backsteinhäusern aus dem vorderen Jahrhundert hatten wir bald einmal abmarschiert, dafür wissen wir jetzt, wie der öffentliche Verkehr funktioniert und volles Verständnis dafür, dass dieser kaum für die Nutzer durch die Stadt fährt.
Die richtigen Gehzeiten bei der Einmündung des St.-John-Rivers ins Hafenbecken verpassten wir ebenfalls wie die Gehzeitenwelle nördlich der Fundy-Bay und erlebten den „umkehrbaren“ Wasserfall leider nur auf Fotos.
Im Stadtpark, wo tolle Biketrails und weitere Trainingsmöglichkeiten für Biker und andere Sportler angelegt sind, wollte ich mein Können wieder einmal unter Beweis stellen. Zu meiner Überraschung fühlte ich mich selbst im schwierigen Gelände sofort wieder wohl und war erstaunt, was für schwierige Strecken für Biker angelegt sind. Doch eine Steilstufe, ein Baum und eine Wurzel stoppten mich abrupt; die Landung war alles andere als sanft und Chantal’s medizinische Hilfe meine Rettung. Biken ist bis auf weiteres gestrichen!
Die Wunden waren alle versorgt, der kleine Finger geschient und mit vier Rädern ging’s weiter der Fundy-Bay entlang. Der Name der „Old-Black-River-Road“ hatte für uns etwas ganz speziell Anziehendes und schon ging’s nach St. John in den tiefen Busch. Der Regen prasselte aufs Autodach und ein besorgter Kanadier machte uns darauf aufmerksam, dass wir unter keinen Umständen auf die mitgeführten Bike steigen sollten, da während der Jagd ein Biker im Wald gerne als Moose – ein etwas grösserer Elch – gehalten würde, aber kein Wort darüber, dass der Weg nicht passierbar sei. Wir drangen weit ins Unterholz und durch Bäche vor, bis auch die Steine für unseren Jeep zu gross wurden und ein unpassierbarer Bach uns zur Umkehr zwang, und so „eierten“ wir wieder 20 Km zurück zur nächst möglichen Abzweigung.
Erst spätabends und bei sintflutartigem Regen erreichten wir unser Ziel in St.-Martins, das man eigentlich in zwei Stunden hätte erreichen können.
Wie schon bereits mehrfach in New Brunswick erlebt, lachte uns am folgenden Morgen die Sonne an, auch wenn es nur für wenige Stunden war. Auf dem Fundy-Trail genossen wir noch einmal die herrlichen Blicke in die gleichnamige Bay und wie die extremen Gehzeiten die Küste und seine Felsen formten.
Wir folgten wieder auf „Backroads“ landeinwärts, durchstreifen erneut weite und einsame Wald- und Landgebiete der Provinz New Brunswick. Die wenigen Orte waren wieder alle sehr ländlich, gefolgt von weiten Landstrichen, wo noch wenige Farmer die Ländereien bestellen. Erneut wieder viele Immobilien und ganze Höfe, die zum Verkauf an der Strasse angeboten werden.
Fredericton war unser nächstes Hauptziel, wo wir durch die Strassen zogen und erstaunt über das ruhige Leben der Provinzhauptstadt waren. Auch findet man in diesem Ort weder Hochhäuser noch qualmende Schornsteine. Im Gegensatz zu St. John ist der Hauptort am gleichnamigen Fluss eher zum Entspannen und Erholen.
Der Regen und die Kälte trieben uns an und der Weg ins südliche Exil ist noch weit! Wir folgten weiter dem St. John-River flussaufwärts durch verträumte Landschaften und ruhige Orte, überquerten die weltweit längste Holzbrücke und bald standen wir an der Grenze zu den USA.
Der letzte Zeltplatzwart meinte noch sehr lakonisch, dass es drüben etwas hektischer zu und her gehe und es 10 Mal mehr Leute als in Kanada gäbe. Seinen weiteren Anmerkungen zur politischen Wetterlage konnte ich nicht ganz folgen, hatte aber seinen Wink sehr wohl verstanden.
Freudig auf unsere Weiterreise in den Süden legten wir uns – leicht nervös – frühzeitig ins Bett, um einen entspannten Eindruck bei der Immigration zu hinterlassen; Grenzübertritte können – dem Sagen nach – nicht nur für Amerikaner oder Kanadier manchmal etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen.