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Die Fahrt von Tallinn nach Helsinki war für uns wie ein weiterer Aufbruch übers Meer in eine andere Welt. Wir stöberten vorgängig in vielen Reiseführern herum, um über die Weiten der skandinavischen Länder eine Vorstellung zu bekommen und trotzdem, wir wussten nicht genau, was uns dort erwarten wird.
Schon die Einfahrt in den Hafen durch die unzähligen Engen und beidseitigen Festungen löste in uns das erste „Hallo“ aus und erst nach dieser Durchfahrt lag die finnische Hauptstadt vor uns. Was wollten wir hier eigentlich genau anschauen? Die Fülle war übergross und Allmögliches wird für den ankommenden fremden Touristen angeboten. Doch uns zog es, nach der Odyssee an Irrfahrten in dieser Stadt, bald wieder hinaus in ländlichere Gebiete.
Lange war für uns auch unklar, ob wir gleich nach Nordosten in die grossen Seeplatten fahren, oder noch etwas der Geschichte der früheren Zeit folgen sollen. Die Geschichte obsiegte und so folgten wir der Küste westwärts nach Turku, die einst von den Schweden errichtet und befestigt wurde und lange vor Helsinki als Hauptstadt galt.
Nach den viel aufgeschichteten Steinen und imposanten Gebäuden zogen wir uns endlich wieder einmal auf einen Campingplatz zurück, wo Waschmöglichkeiten für Mensch und Material vorhanden waren. In den skandinavischen Ländern ist ein freies Stehen auf Allgemeinland problemlos möglich, dafür stehen keine WC noch andere Einrichtungen zur Verfügung. Das Wäschewaschen wir so lange verdrängt, bis der Wäschesack zu platzen droht oder die Gerüche unausstehlich werden. Für die tägliche Körperpflege reichte oft ein einfacher Bach oder ein erfrischender See.
2 Tage später zog es uns wieder landeinwärts den unzähligen Seen entgegen. Der Weg führte uns durch weite Gebiete, wo Landwirtschaft und Gemüsebau betrieben wird, selbst Erdbeeren gedeihen hier wunderbar. Endlich erreichten wir die langersehnte finnische Seeplatte mit, sagen wir einmal tausend und ein See, die uns bei der Routenwahl öfters vor fast unlösbare Probleme bei der Wegsuche stellte. Viele Strassen und Wege führten ins „Nichts“ hinaus oder enden vor einem See oder Bach. Die Seen liegen fast ausnahmslos in den Wäldern und sind von der Strasse nicht immer sofort zu erspähen. Es folgten hunderte von Kilometer durch diese fast endlose Landschaft mit Birken, Föhren und Kiefern, aufgelockert mit Bauernhöfen und offenen kleinen Siedlungen. Wir fragten uns immer wieder; was die Menschen hier in diesen endlosen Weiten machen, so viele braucht es sicher nicht mehr in der Land- und Forstwirtschaft.
In Mittelfinnland hatten wir von den vielen Wäldern und den unzähligen Seen, die man eigentlich fast nirgends zu Gesicht bekommt, genug gesehen. Somit entschlossen wir noch einmal in Richtung Ostsee zu fahren. Die Orte Oulu und Kemi tönten sehr verlockend und in Kemi soll der Weihnachtsmann sein Sommerbüro am Strand aufgeschlagen haben. Also, nichts wie hin!
Die grossen Waldflächen, wo riesige Maschinen das Holz ernten wie bei uns der Bauer das Korn mit dem Mähdrescher, und noch grössere Lastwagen die geschlagenen Bäume zu irgendeiner Fabrik fahren, lagen bald hinter uns und wir zwängten uns durch die Vororte vom ersten Küstenort Oulu.
In Oulu liessen wir einmal unser „RuGa-li“ auf einem Parkfeld stehen, schlenderten durch die Stadt und genossen das historische Hafenviertel. Unter historischem Viertel darf man hier natürlich nicht die Fülle einer italienischen Altstadt vorstellen. Hier stehen meist ein paar alte Schuppen und irgendwelche Steinhäuser, vermutlich aus der Anfangszeit des industriellen Fischfanges, die heute zu peppigen Lokalen aufgemotzt sind und in den Terrassenbewirtungen allesmögliche für die vorbeiziehenden Gäste offerieren. Touristenshops und unzählige Museen warben ebenfalls zu ihrer Gunst und locken mit vielen guten Angeboten. Für uns war dieser Besuch etwas irrational und schockierte gleichzeitig. Auch hier läuft während den Sommermonaten einiges und viele Gäste drängen sich durch die Strassen und über Plätze; man steht oft dicht an dicht gedrängt in Menschenmassen. Vermutlich sind alle Finnen gegen dieses weltweite Corona-Virus immun und als Maskenträger wird man wie ein Aussätziger begutachtet! Etwas nachdenklich zogen wir der Ostsee entlang weiter in nördlicher Richtung.
In Kemi bogen wir wieder nach Nordosten ab, liessen die Sommerresidenz des Weihnachtsmanns links liegen. Den sommerlichen Rummel beim Weihnachtsmann überliessen wir den Finnen. So zogen wir wieder landeinwärts, wo es etwas ruhiger zu und her ging. Wir folgten dem Kemijoki (Fluss) flussaufwärts, wo rechts- und linksufrig intensiv Landwirtschaft betrieben wird. Hinter diesen Landwirtschaftsflächen liegen Wälder und dies, soweit das Auge reicht. Selbst unseren dauernden Trieb irgendeine „Backroad“ zu entdecken und zu befahren, mussten wir zurück stecken; es gibt sie einfach nicht, diese einsamen Strassen durch die endlosen Weiten und Wälder. Meist enden sie einfach irgendwo im Niemandsland.
Inzwischen steckten wir bereits tief in Lappland, eigentlich eine wunderbare Gegend. Doch die lästigen Stechmücken waren überall auf der Lauer und beim Öffnen der Autotüren ging es gleich los; tausend dieser Plagegeister sind auf der Suche nach frischem Blut. Ja, diese Steckmücken können den schönsten Rastplatz, oder einen 5*-Campplatz gleich zur reinsten Hölle machen. Nur dank den Mückenschutzmitteln aus dem amerikanischen Norden konnten wir diese fliegenden Ungeheuer einigermassen ertragen. Werden sie womöglich bald auch gegen diese Mittel komplett immun sein? In städtischen Gebieten war es meist angenehm und gut zu ertragen, doch sobald man in ländlicher Gegend verweilte und Wasser ist immer irgendwo vorhanden, schon hat man viele blutsaugende Freunde irgendwo auf der Haut.
Etwas Nördlich von Rovaniemi, genau bei N66°32‘35“ überquerten wir den Polarkeis und befanden uns gleich vor der Haustür des Weihnachtsmannes. Ja, hier geht zur Weihnachtszeit wohl die „Post ab“ und alle Wünsche sind fast möglich. Verrückt, was hier touristisch alles auf die Beine gestellt wird und erinnert auch gleich an die Vergnügungsindustrie in Nordamerika. Mit den natürlichen Nordlichtern kann vermutlich die menschliche Glitzerwelt noch einiges dazu gewinnen. Leider war bei unserer Durchreise der ganze Betrieb wie eingestellt und wir wussten nicht, ob dies wegen der Pandemie war oder im Sommerhalbjahr einfach weniger los ist. Schlussendlich war auch der Weihnachtsmann nicht vor Ort und genoss den Sommer in Kemi an der Ostsee. L
Weiter folgten wir unserem Weg nordwärts durchs Lappland mit einem kleineren Schwenker in Richtung russischer Grenze. Wieder viele, fast endlose Waldstrecken, die kaum irgendwelche Ausblicke auf die unzähligen Gewässer ermöglichten. Doch bald wichen die grossgewachsenen Bäume kleinerem Pflanzenwuchs und die Bäume standen nicht mehr dichtgedrängt. Endlich wurde die Landschaft etwas offener und sofort konnten wir durch die Bäume hindurch immer wieder etwas Neues entdecken. Hat es irgendwo einen Hügel, Berg darf man wohl nicht sagen, findet man sofort auch einen oder gleich mehrere Skilifte und das dazugehörige Ferienresort. Wahnsinn, wie weit die Wintersportler für ein paar Pistenmeter reisen! Oder geht es mehr um Wellness und Snowmobilfahren?
Je weiter wir durch diese Weiten nordwärts zogen, desto bewusste wurde uns, dass hier in Lappland, oder Nordfinnland, pro Km² nicht einmal ein Mensch lebt. Es hat nur noch wenige Siedlungen, die wie vorgeschobene Handelsposten ihre Funktion ausüben und uns den teuersten Diesel anboten, den wir jemals bezahlten.
Auf der Nebenstrasse nach Norwegen fuhren nicht viele Fahrzeuge, dafür bewegten sich sehr viele Renntiere auf der Strasse oder neben dieser. Diese Tier sind vermutlich derart an den Verkehr gewohnt, dass sie bei der Vorbeifahrt eines Fahrzeuges kaum beiseite gehen oder irgendwie die Flucht ergreifen. Auch unseren „ersten“ Elch entdeckten wir hinter einer Baumgruppe. Leider sind diese Einzelgänger eher scheu und wer zu spät auf den Auslöser drückt, dem ist das Tier bereits aus dem Bild entschwunden.
Die Wolken hingen sehr tief und ein frischer Wind huschte über die weiten Flächen. Wir befanden uns auf dem Weg in Richtung Kirkenes/N und waren von der langsam veränderten Landschaft überrascht. Den sanften Wellen und Weiten folgte immer schrofferes Gelände. Es wurde hügeliger, die Einschnitte der Flussläufe immer tiefer und zu unserer Überraschung: Wir waren bereits in Norwegen.
Noch vor Kirkenes bogen wir nach Westen ab und liessen den letzten Ort vor der russischen Grenze rechts hinter uns. Mit dem Nordkap peilten wir unser nächstes Ziel an. Nach Finnland und seinen unendlichen Flächen, begeisterte uns Norwegen immer mehr. Die ganze Landschaft war wie verändert und fast nach jedem Richtungswechsel, oder hinter jeder Geländekuppe gab es etwas Neues zu entdecken. Diese Begeisterung war vom ersten Augenblick an und die bevorstehende Fahrt über die norwegischen Küstenstrassen wird uns sicher noch viele Highlights bescheren.
Bis Olderfjord war es auf dieser Hauptachse sehr ruhig und nur wenige Fahrzeuge begegneten uns. Ab Olderfjord änderte sich dies schlagartig und viel Verkehr war unterwegs zum nördlichsten Punkt des europäischen Kontinents. Ganze Konvois mit Wohnmobilen und Autos zwängten sich über die Küstenstrasse nach Norden, den schroffen Abhängen aus Schiefergestein entlang, durch unzählige Tunnels und Meeresunterquerungen (Magerøysund/-212m) nach Honningsvåg und weiter zum Kap. Auch wir waren einen Teil dieses Freizeitverkehrs. Nebst Fischfang und Renntierzucht bringt dieser Touristenstrom wohl einiges an Einkommen. Jedenfalls die Preise am nördlichen Ende Europas sind sehr hoch, werden aber bereitwillig bezahlt. Der Rummel am Nordkap war entsprechend gross, obwohl das Ganze ein Bluff ist. Der richtige nördlichste Punkt des europäischen Festlandes liegt 67 Kilometer weiter östlich auf den Kinnarodden!
Beim touristischen Kap war es dank der angenehm wärmenden Sonne wunderbar und die frische Brise störte uns kaum. Wir genossen die herrliche Weitsicht ins arktische Meer hinaus. Doch bleiben wollten wir auf diesem Parkplatz nicht, wo sich Wohnmobil an Wohnmobil der Abzäunung entlang reihte. Alle haben sich für die Mitternachtssonne in die beste Position gestellt. Unser „RuGa-li“ hätte sich mit der zweiten Reihe begnügen müssen und so war unser Entschluss schnell gefällt; wir fahren ein kurzes Stück zurück und schlagen unser Camp abseits des Rummels auf; auch dort wird uns die mitternächtliche Sonne noch entgegen scheinen.
Die Wanderung zur westlichen Zunge, die etwas nördicher als das Nordkap liegt, stand ebenfalls zur Diskussion und wäre für mich (Tom) wirklich eine tolle Wanderung gewesen. Unser abendliches Camp richteten wir wenige Kilometer südlich des Kaps ein. Um ein nächtliches Umstellen unseres Jeeps zu vermeiden, stellten wir unsere Unterkunft möglichst „windgünstig“ hin, so dass das Aufstelldach während der Nacht in der richtigen Windrichtung geöffnet sein wird.
Wir genossen die abendliche Sonne, die hier in dieser Jahreszeit nie unter geht und waren nicht ganz unglücklich, nicht in der ersten Reihe beim Nordkap stehen zu müssen. Wir plauderten noch über dies und jenes, das Erlebte und was noch kommen wird. Als wir uns ins Innere zurück zogen war der Himmel bereits mit vielen Schleierwolken bedeckt und der Wind hatte an Stärke zugelegt.
Morgens hatte der Wind gedreht, es war richtig kalt und stark bewölkt. Um unseren Kaffee zu kochen, mussten wir vorgängig das Auto entsprechend umstellen, sonst hätte der Wind die Gasflamme eher ausgepustet als der Kaffee oben aus der Espressokanne gesprudelt wäre. Ungeduldig suchten wir eine möglichst genaue Wetterauskunft und die Wanderung wurde gleich von der Wunschliste gestrichen; eine mehrtägige Schlechtwetterfront machte sich bereit und die ersten Regentropfen klatschten bereits aufs Autodach.
Bei Regen und Nebel zogen wir uns vom Nordkap zurück. Hoffentlich wird es nur eine kurze Wetterstörung sein!