>Bilder ganz unten!
Auf den Spuren des Jakobsweg
Der Übertritt nach Spanien erlebten wir ohne irgendeine Kontrolle, schon waren wir – trotz verschärfter Corona-Einreise – im riesigen Land in der südwestlichen Ecke von Europa. Und, wenn wir schon beim Thema Corona sind; in Spanien gilt überall Maskenpflicht und diese Pflicht wird wirklich eingehalten. Die Furcht vor weiteren Massnahmen ist extrem hoch; die täglichen Bilder aus den abgeschirmten Stadtquartieren und Vororten von Madrid ging wirklich unter die Haut. Einen zweiten Lockdown wollen sie um jeden Preis verhindern.
Für uns war Spanien – im nördlichen Teil – ein Wechselbad zwischen der Moderne und alten Traditionen, wo die Menschen noch mit dem Pferdewagen unterwegs sind und Schafhirten mit grossen Herden über das Land ziehen. Im Gegensatz sind die urbanen Zentren, meistens an der Nordküste, wo die Leute nicht nur Arbeit finden, sondern die ganze moderne Welt mit all seinen Erleichterungen zur Verfügung steht.
Verlässt man eine Stadt, wird es sofort einsam. Ganze Täler oder weite Landschaften sind verwaist. Den wenigen Leuten, denen wir begegneten, waren meist älter, und mit dem verschwinden dieser Generation wird es vermutlich noch einsamer. Die vielen zerfallenen Häuser sprechen eine eindeutige Sprache.
Trotz der manchmal traurigen Gegenwart über den schleichenden Zerfall, was Generationen vorher mühsam aufbauten, freuten wir uns auf unseren bevorstehenden Weg in Richtung Westen. Wir wollten den Spuren des Jakobswegs folgen, der durch die Berge westwärts nach Santiago de Compostela zieht.
Die Wetteraussichten waren nach den regenreichen Tagen in Frankreich sehr gut und so entschlossen wir uns, vorerst nicht westwärts zu fahren, sondern ein Stück der südlichen Seite der Pyrenäen südwärts zu folgen. Hier soll es für Backroader noch einiges zu entdecken geben und auch das „Kind im Manne“ (Tom) wecken. Jedenfalls standen viele Offroadpassagen an, die uns einigen Nervenkitzel bescherten.
Wir suchten für uns entsprechende Strecken aus und waren immer wieder überrascht, was man hier auf den Bergpfaden oder Waldwegen noch alles darf. Zu unserer Beruhigung waren noch weitere zwei- und vierrädrige Fahrzeuge unterwegs, so dass wir niemals das Gefühl bekamen, irgendetwas Illegales zu tun. Und Fahrverbotsschilder? Die gibt es hier kaum, oder sind von irgendwelchen Hobbyschützen zu einem Lochbecken verformt worden.
Nach vielen Höhenmeter durch weite und einsame Landschaften erreichten wir die Wüsten ähnliche Ebene in der Nähe von Tudela, wo mittendurch der Ebro dem Mittelmeer entgegen fliesst. In Arquedas gab es auch eine Zwangspause; Chantal bewegte sich zwischen Bett und Toilette hin und her. Lange konnten wir ihre Magenkrämpfe nicht richtig einordnen. Viele Gedanken gingen an diesem Ort durch unsere Köpfe und unser enger Raum eignet sich wahrlich nicht für eine ernstere Erkrankung.
Nach zwei Tagen war die ganze Magengeschichte ausgestanden und Chantal für weitere Abenteuer abseits des Asphaltband bereit. Da uns die bisherige Gegend sehr gut gefiel, planten wir gleich noch eine zusätzliche Schlaufe in östlicher Richtung durch die weiteren Ausläufer der Pyrenäen. Schlussendlich ist man nicht alle Tage hier!
Bis zum Río Gállego begleitete uns noch wunderbares Herbstwetter und die Fahrten über die Berge war für uns (…hauptsächlich Tom) eine wahre Freude. Kurz vor den Los Mallos de Riglos wechselte das Wetter und die Feuchtigkeit vom Himmel führte zu einer erneuten Planänderung. Nach einer kurzen Wanderung an den Füssen der Sintertürme von Riglos und einer letzten Nacht am rauschenden Río Gállego drehten wir wieder in westlicher Richtung ab um auf unseren ursprünglichen Weg nach Santiago de Compostela zu gelangen.
Je weiter wir in westlicher Richtung unterwegs waren, desto besser wurden die Wetterbedingungen und verleitete uns erneut zu wunderbaren Routen durch wilde Gegenden, wo vermutlich nicht allzu viele Touristen je hinkommen. Die wenigen Schafhirten als auch Jäger waren jedenfalls immer über unser Auftauchen überrascht und gegenseitiges Bestaunen war angesagt.
Über unzählige Sierras ging es immer weiter westwärts und forderte von Mensch und Material einiges. Irgendein Knacken an der Vorderachse dämpfte unserem Vorwärtsdrang bald einmal. Umgehend entschlossen wir uns, die Kletterpassagen zu unterbrechen und die Jeep-Werkstatt in Vitoria-Gasteiz aufzusuchen. Nebst dem Auffinden der Werkstatt war die Erklärung unseres Problems eine gewaltige Herausforderung, die Chantal bestens bewältigte. Schon wurde unser Auto gründlich untersucht und nach einer halben Stunde versicherte uns der Werkstattchef, dass dieses Knacken nichts Ausserordentliches sei und das Spiel im Radlager noch in der Toleranz wäre. Glück gehabt!
Ab Vitoria-Gasteiz ging es in einem Zick-Zack-Kurs über die Cordillera Cantábric erneut auf etwas „verrückte (Ab-)Wege“ zur Atlantikküste, wo auch andere Touristen und Weltenbummler unterwegs waren. Kaum hatten wir uns an den tosenden Atlantik gewohnt, stiegen wir wieder hinauf in die Bergwelt der Picos de Europa. Das Wetter war nach verschiedenen Regenschauern erneut zu schön um nur der Küste zu folgen. Diesmal folgten wir schön brav den ausgebauten Strassen, da andere Wege kaum zur Verfügung standen; die Bergflanken waren einfach zu steil. Trotz der Asphaltfahrt war die Reise hinauf in die Berge für uns ein komplett anderes Spanien; weder Sand und Meer noch Halbwüste, sondern ein Eintauchen in eine alpine Landschaft, wo Kühe mit ihren Glocken an den Hängen entlang weideten und Jäger nach Steinwild Ausschau hielten.
Nach den vielen Höhenmeter und unzähligen Bergtälern steuerten wir wieder zurück an die Nordküste, wo wir bald den nördlichsten Punkt von Spanien erreichten, der weit in den rauen Atlantik hinaus ragt. Im Gegensatz zu anderen Ländern machen die Spanier aus solchen Punkten keinen Spektakel wie wir dies anderswo erlebten, und nur eine einfache Markierung verwies auf die ausserordentliche geographische Lage hin.
Nach dem nördlichsten Punkt steuerten wir gleich dem westlichsten Punkt entgegen. Die Fahrt führte uns durch viele touristische Orte, wo zu dieser Jahreszeit kaum Gäste anzutreffen waren und überall die Fensterläden verschlossen waren. An den Stränden tummelten sich nur noch die Surfer, die aus fast allen Himmelsrichtungen und Länder an die unterschiedlichen Buchten weilten, um ihren Wellenritt zu geniessen. Das stürmische Wetter sorgte für entsprechend hohe Wellen und selbst wir genossen die Sicht auf das raue Meer hinaus. Da fast sämtliche touristischen Infrastrukturen geschlossen waren, reihten sich mancherorts die Wohnmobile und umgebauten Kastenwagen zu wahren Wagenburgen zusammen.
Die Durchfahrt in Coruña erinnerte uns gleich an viele bereits gesehene Orte, wo die Blütezeit schon lange zurück liegt. Nebst dem eindrücklichen Stadtzentrum hinterliessen die vielen verlassenen Industrieanlagen und halb erstellten Gebäude eher den Eindruck, dass die Stadt mit grossen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat.
Beim Capo Touriñán, Spaniens westlichster Punkt, hielten wir unsere Nasenspitzen in den frischen Wind, der von Südwesten her über diese Landzunge strich. Genau 5200 Kilometer westlich von hier soll New York liegen und eine Gedenktafel erinnerte an die Zeit der grossen Auswanderungswellen, wo – wie auch aus anderen europäischen Ländern – tausende Menschen in eine neue Welt zogen und dort auf eine bessere Zukunft hofften.
Bis zum Capo Fisterra war es noch ein Katzensprung und selbst nach diversen Irrfahrten über meerseitige Wege erreichten wir diesen touristischen Hotspot. Kaum hatten wir die Fotos in der Kamera verewigt, schon überraschte uns ein Wolkenbruch, aber schon bei der Rückfahrt lachte uns die Sonne erneut entgegen.
Dass aus fast all erdenklichen spanischen Landesteilen Pilgerwege nach Santiago de Compostela führen, wussten wir eigentlich vorgängig nicht so recht, war aber nach der Verdrängung der Mauren für die spanische Obrigkeit ein wichtiger Schritt zur Rückkehr zum katholischen Glauben und Stabilität. Jakobus war ein Teil dieser Identifikation und somit wurde die ganze Pilgerfahrt zur Pflicht für jeden richtigen Spanier. So entstanden im Mittelalter diese Pilgerwege, die heute ein weitläufiges Weitwanderwegnetz sind.
Der Weg vom Cabo Fisterra nach Santiago de Compostela wird durch sehr viele Leute begangen, da er etwas über 100 Kilometer beträgt und somit jeder Pilger – oder Wanderer – bei der Ankunft am heiligen Ort des Jakobusses sein Diplom in Empfang nehmen kann. Dies war auch der Grund, wieso wir bald die Hinterweg in Richtung Santiago verliessen und andere Nebenwege suchten; es hatte einfach zu viele Wanderer auf der Strecke und auch wir würden uns ab diesem weissen Jeep eher nerven als erfreut sein.
Über den Hausberg, der nordwestlich von Santiago liegt, erreichten wir das Stadtzentrum und stellten unseren Jeep einmal ab. Lange streuten wir uns gegen solche Besichtigungen und Menschenansammlungen. Doch hier, beim Jakobus machten wir eine Ausnahme und waren mehr als nur begeistert von dieser Stadt. Nebst den eindrücklichen Bauten waren für mich die emotionalen Momente der ankommenden Pilgerer, die hier vor der Kathedrale immer wieder eintrafen sehr berührend. Keine Ahnung, wo sie ihre jeweilige Reise starteten, doch die Freude sprang auch zu mir über, obwohl ich (wir) ganz bequem mit vier Rädern anreisten. Vielleicht werde ich eine solche Pilgerfahrt auch noch unternehmen; wer weiss!
In Santiago de Compostela stand wieder ein Entscheid an; die Wetteraussichten im westlichen Spanien waren erneut etwas ernüchternd und aus Portugal machte uns der erneute Anstieg der Corona-Pandemie grosse Sorgen. Die portugiesische Regierung möchte erneut drastischer Massnahmen ergreifen, was auf uns Touristen eher negative Folgen haben und die Bewegungsfreiheit stark einschränken könnte.
Lange diskutierten wir in die Nacht hinein, was wohl das Beste sein wäre, und mit vielen offenen Fragen legten wir uns unter die warme Decke. Einfach wird es vermutlich nicht und die Worte einer Frau in Cee (Nähe Cabo Fisterra), die uns innig ermahnte, dass wir äusserst Vorsichtig sein sollen, begleitete uns weit in die Träume hinein!