>Bilder ganz unten!
Westküste – Zentralanatolien – Schwarzmeerküste
Der Empfang bei René ** und Zehra in Ҫeşme hätte nicht herzlicher sein können, als wären wir seit vielen Jahren beste Freunde. In wenigen Tagen wurde uns ein anderes, intensiveres Stück Türkei geboten, das wir so nicht erlebt hätten; es war quasi ein kleiner Blick hinter die Kulisse in Begleitung von besten Kennern. Zwischen Ҫeşme und Ismir wurden wir zu Orten geführt, die nur ein Einheimischer kennt, oder zu feinsten Lokalen und vorzüglichem Essen verführt. Auch sah ich noch nie eine solch komplette und fein säuberlich restaurierte BMW-Motorradsammlung wie hier in der Türkei. Kein Reiseführer hätte uns so intensiv mit dem Land und den Menschen vertraut machen können. Den beiden – René und Zehra – nachträglich noch herzlichen Dank für die grosszügige Gastfreundschaft.
**: Über mehrere Jahre waren wir – René und ich (Tom) – Vorstandskollegen im örtlichen Velo-Club, organisierten verschiedene Anlässe gemeinsam und schätzten uns gegenseitig sehr. René wanderte nach seiner Pensionierung mit seiner türkischen Lebenspartnerin in die Türkei aus. Nach unserer Abreise zur Weltumrundung kam postwendend eine Einladung aus der Türkei, dass wir, falls wir irgendwie in diese Region kämen, unbedingt einen Abstecher nach Ҫeşme machen müssten. 🙂
Unser Drang nach dem Weiterreisen war, trotz der warmen Stube, immer noch ungebrochen und die weiten Landschaften in Zentralanatolien reizten uns sehr. Doch bis wir diese karge und steppenartige Landschaft erreichten, lagen noch viele Kilometer wunderbarer Landstriche der westlichen Türkei vor uns, gespickt mit vielen historischen Baudenkmälern aus der griechischen und römischen Zeit.
Der Zufall wollte es, dass wir erneut Pamukkale ansteuerten, da wir noch nicht alle Strassen in höheren Lagen befahren konnten oder wollten. Auch mussten wir unsere Routenplanung immer wieder anpassen; wir wollten ein Camp in höheren Lagen wegen der Kälte und dem Schnee unbedingt vermeiden.
In einem Zick-Zack folgten wir unseren Nebenstrassen und Wegen in östlicher Richtung Zentralanatolien entgegen. Trotz der umsichtigen Planung und dauernder Anpassung der Route, mussten wir über schneebedeckte Passstrassen fahren und waren abends heilfroh, dass in solch abgelegenen Gegend alles gut ging.
Je weiter wir uns der Westküste entfernten, je karger wurde die ganze Landschaft, was sich auch auf die dort ansässigen Menschen stark auswirkte. Immer wieder hatten wir das Gefühl, in einer anderen Welt unterwegs zu sein und eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit zu machen. Neben den wenigen Hauptverkehrsachsen bewegten wir uns oft auf Wegen, die wahrscheinlich die wenigsten Touristen befahren. Viele dieser benutzen Strassen glichen nach den Schneefällen und anschliessendem Tauwetter mehr Schlammpisten als einem gut befahrbaren Weg.
Wenige Male mussten wir mit der Schaufel selbst Hand ansetzen, Kanten und Ecken entschärfen, oder Steine beiseite räumen.
Nach den weitläufigen Abstechern durch eine komplett menschenleere Landschaft erreichten wir ein weiteres Hochtal, wo auf riesigen Feldern alles Mögliche angebaut wird. Wir waren erstaunt, was hier die emsigen Hände der Menschen alles den Feldern abringt. Wir folgten dem Sultan-Gebirge in südöstlicher Richtung, bogen aber bald wieder ab und suchten auf einsamen Wegen das ursprüngliche Anatolien. Nach vielen Kilometer in dieser fast menschenleeren Landschaft erreichten wir Konya.
Konya liegt inmitten dieser kargen Umgebung; trotzdem versprüht diese Stadt eine unheimliche Moderne und gleichzeitig eine Rückbesinnung zu den inneren Werten des Islams. Der Melvlana-Orden, der Toleranz und Friedfertigkeit predigt, prägt nicht nur die Stadt, sondern weite Teile von Zentralanatolien.
Auf dem städtischen Caravan-Park lernten wir ein deutsches Ehepaar kennen, die gerade aus dem Iran kamen. Sie konnten die offene Grenze kurz vor deren Schliessung passieren. Infolge des Corona-Virus und der grossen Anzahl Infizierten wurde diese auf unbestimmte Zeit geschlossen. Zwar redet man hier in der Türkei ebenfalls über diese Pandemie und auch wir wurden schon öfters auf die Krankheitsfälle in der Schweiz angesprochen, doch hier muss nach dem Verhalten der Menschen noch alles in Ordnung sein.
Unser Weiterweg nach Göreme (Nevsehir) war erneut nicht der direkteste, sondern wir erreichten über die nördliche Ausfahrt den Salzsee von Kulu, steuerten wieder südwärts in die Weiten der Obruk-Ebene dem Peristrema-Tal entgegen. In diesem tiefen Einschnitt, der fast ans Grand Canyon in Miniformat erinnert, befinden sich viele ehemalige Felskloster und andere Rückzugsorte des frühen Christentums.
Das nächste Highlight folgte gleich anschliessend rund um Göreme in der fast unbeschreiblichen Tuffsteinlandschaft, wo zuerst die Christen vor der Verfolgung der Römer Schutz suchten. Anschliessend wurden unzählige Klosteranlagen in diese Türme und Felswände gehauen. Kaum hatten wir einen Übergang überwunden oder sind um einen Felsturm gefahren, schon türmte sich eine weitere Felsformation vor uns auf; eine eindrückliche Landschaft, die hinter jeder Ecke mit einer neuen Überraschung wartete.
Nach dem Besuch von Göreme folgten wir in nordöstlicher Richtung, durchstreiften weite und landwirtschaftlich stark genutzte Landstriche, überfuhren unzählige Höhenzüge, eh uns der Canik-Gebirgszug (pontischen Taurus) vom Schwarzen Meer trennte. In Samsun drehten wir dann definitiv ab und folgten der Küste in westlicher Richtung, verirrten uns in den Weiten des Bafra-Detlas und zur abendlichen Belohnung überliess uns ein Fischer bei unserem Camp am Meer für wenig Geld seinen frisch gefangenen Fisch; selbstverständlich war der Fisch noch lebendig!
Sinop als auch die Hamsilos, ein fjordähnlicher Flusslauf, waren zwar sehenswert, doch die absolute Begeisterung blieb unsererseits aus. Eine gewisse Sättigung an Eindrücken machte sich in uns breit.
Bei Ince Burum standen wir kurz beim nördlichsten Punkt der Türkei, der weit ins Schwarzmeer hinaus ragt, eh wir das Küstengebiet wieder in Richtung Gebirge und den ausgedehnten Wäldern verliessen. Teilweise ging es sehr weit hinauf in die Berge und der meist auf der Nordseite liegende Schnee brachte uns erneut etwas zurück in winterliche Verhältnisse. Auch viel Action war angesagt; auf einem Waldweg mussten wir uns drei Mal mit der Seilwinde aus Schlammlöcher befreien und am Ende überraschte uns die hereinbrechende Nacht, was solche Selbstrettungen noch einiges erschwerte.
Oder die Nacht oberhalb von Azdavay inmitten des Küstengebirges vergessen wir auch nicht mehr so schnell: Ein Bilderbuch-Camp-Platz mit wunderbarem Weitblick und ein weit in die Nacht hinein wärmendes Feuer. Doch die Nachtruhe wurde kurz nach Mitternacht von der Polizei unterbrochen. Nach langem hin und her liessen sie uns dann doch gewähren und wünschten uns eine gute Nacht. Kaum hatten wir uns beruhigt und wieder den Schlaf gefunden, standen die drei Polizisten erneut neben unserm Jeep; zu unserer Sicherheit sollten wir ihnen umgehend folgen. In dieser Gegend gäbe es gefährliche Tiere und wir könnten dadurch in eine schwierige Situation geraten. Den Rest der Nacht verbrachten wir im Zentrum von Azdavay neben der Gemeindeverwaltung auf einem öffentlichen Platz. Ob nun Tiere gefährlicher sind als Menschen konnten wir leider mit den Beamten nicht mehr ganz erklären, schon waren sie für den nächsten Einsatz in der dunklen Nacht verschwunden.
Nach diesem Erlebnis kehrten wir wieder zurück an die Schwarzmeerküste und folgten dem Meer in westlicher Richtung. Aber auch hier fanden wir immer wieder wunderbare Nebenstrasse in sehr abgelegenen Landschaften entlang der Küstenlinie, wo wir oft auf den aufgeweichten Wegabschnitten nur dank Allradantrieb und den Sperrdifferenzialen vorwärts kamen. Die Feuchtigkeit vom Schwarzen Meer begünstigt den Niederschlag und verwandelt die Wege in wahre Schleuderabschnitte. Auch konnten wir andere Verkehrsteilnehmern immer wieder behilflich sein um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien und uns als „friendly Swiss people“ outen; als Mann wäre ich gleich zum Ҫay (Tee) eingeladen worden, während Chantal im Jeep hätte warten müssen, obwohl auch sie geholfen und schmutzige Hände bekam!
Aus dem Rest der Welt hörten wir immer wieder Horrorgeschichten um den Corona-Virus, doch hier in der Türkei soll noch alles beim Besten sein. Jedenfalls hörten wir bisher noch nichts Negatives und die Leute auf der Strasse verhielten sich wie wir dies seit unserer Einreise immer wieder erlebten; grosszügige Herzlichkeit (…unter den Männern) und geselliges Beisammensein.
Doch in Eregli änderte sich offenbar irgendetwas; nach dem Verlassen des Einkaufszentrums trug das Sicherheitspersonal plötzlich Handschuhe und Mundschutz. Uff, da passierte irgendetwas und dies fuhr wie ein Blitzschlag in unser Bewusstsein ein. In der nächsten Apotheke wollte Chantal Desinfektionsmittel und Mundschütze besorgen. Noch während der Zahlung ging ein Telefon und schon wurden die Mundschütze wieder als ausverkauft zurückgezogen. Interessanterweise konnte der Apotheker plötzlich kein Englisch mehr. Die ganze Situation in der Apotheke liess uns keine Ruhe mehr; bekommen wir als Ausländer hier nicht mehr alles, obwohl es vorhanden wäre?
Etwas verhalten setzten wir unsere Fahrt fort in Richtung Westen. Das aufziehende Sturmtief und die angekündigten heftigen Regenfälle liessen keine allzu grossen Schlaufen durch irgendwelche Hinterlandstrassen zu und so wählten wir den schnellsten Weg dem Bosborus entgegen. Vor dem angekündigten Regenfälle konnten wir nicht mehr fliehen und schon vor der Enge des Bosborus schüttete und stürmte es, so dass wir kurzentschlossen irgendein Hotel aufsuchten um wenigstens eine trockene Nacht zu verbringen.
Kaum im Hotel, bemerkten wir eine gewisse Nervosität der Angestellten, im Fernsehen in der Lobby flimmerten die aktuellen Neuigkeiten über den Bildschirm und – der Corona-Virus war in der Türkei angekommen und ein erstes Opfer soll sich in Istanbul im Spital befinden. Von der Regierung in Ankara folgten postwendend die ersten einschneidenden Massnahmen und einer vom Gesundheitsamt meinte auch noch so nebenbei, dass sie – die Türkei – neben dem stark befallenen Iran sicher eine noch viel höhere Dunkelziffer hätten.
Das aktuelle Drama um die Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze und die sofortigen Massnahmen in Folge des Corona-Virus setzten uns stark in einen Entschiedungsdruck. Das Zentrum von Istanbul und das Trojanische Pferd südlich von Ҫanakkale fielen gleich zum Opfer der neuen Routenplanung. Wir entschieden uns zur sofortigen Ausreise nach Bulgarien in ein europäisches Land – so lange die Grenzen noch offen waren.
Die Wetterlage beruhigte sich erneut, wobei ein kalter Wind vom Schwarzen Meer her blies, als wir uns aus der Agglomeration von Istanbul in nördliche Richtung los fuhren. Kaum lagen die letzten Fabriken hinter uns, schon standen wir wieder mitten in landwirtschaftlichen Kulturland, wo emsig auf den Feldern gearbeitet wurde und in den Orten sich alles um die Landwirtschaft dreht. Die ausgedehnten Wälder ab Kryiköy waren für uns ein – mehr oder weniger – ungeplanter und schneller Abschied aus der Türkei. Bei der Anfahrt zum Grenzposten war auf der Strasse eine gespenstige Ruhe; nichts war zu diesem Zeitpunkt unterwegs! Ist die Grenze bereits „dicht“?
Bei Grenzposten selbst war die Situation ebenfalls angespannt, die Scheiben öffneten sich nur um Spaltesweite, so dass wir unsere Pässe durchschieben konnten und meist folgte umgehend eine für uns komplett unverständliche Anweisung.
Nach dem dritten Fenster und hin- und herreichen der Pässe wurde uns der Grenzbaum zur Ausreise geöffnet. Der letzte Beamte wünsche uns noch eine gute Weiterreise und; „macht es gut!“
In wenigen Metern erspähten wir die bulgarische Flagge und den Grenzbaum. In unserem Jeep machte sich eine gespenstige Ruhe breit; hoffentlich lassen sie uns noch passieren!