Die erste Nacht in Georgia verbrachten wir am Rande der Grossstadt Atlanta in einem nahegelegenen Stadtpark. Bei der Ankunft war es noch regnerisch, der Himmel lockerte sich während der Nacht auf und morgens war es entsprechend frisch. Die ersten Parkbesucher schauten etwas verdutzt zu uns und begutachteten unsere Kaffeekochkünste.
Die Sonnenstrahlen wärmten uns bald auf und, …. irgendwie hatten wir keine Lust auf Atlanta, die als Hauptstadt des Südens unaufhörlich in die Weite wächst und in der Filmbranche Hollywood mächtig Konkurrenz macht. Man liest und hört zwar nur positives, doch nach den Appalachen sehnten wir uns auf noch mehr Landschaft und nicht das Entlangfahren an mächtigen Hochhäusern noch in wunderbaren Villenvierteln.
Wir drehten ab, kurvten durch das hügelige Hinterland und versuchten auf schönen Landwegen Atlanta nördlich zu umfahren. Doch wo auf meiner elektronischen Karte ein Weg verlaufen würde, da stand einfach eine Mauer, oder es folgte ein Eintrittsgate zu irgendeiner Gesamtüberbauung und wir hatten weder eine Einladung noch eine andere Bewilligung. Vermutlich wohnen da die neuen Filmhelden und andere wichtige Persönlichkeiten der grossen Welt. Das Bewachungspersonal gab zwar immer breitwillig Auskunft, wo und wie wir weiter gehen könnten, doch diese Beschreibungen führten immer auf Schnellstrassen, was unsererseits nicht erwünscht war.
Aber, wer sucht, der findet und so entdeckten wir doch noch die Wege, der unserem Gemüt entsprach.
In der Grenzregion Georgia-Alabama erreichten wir weite Felder mit ihren riesigen Farmen, wo u.a. Baumwolle angepflanzt wird und im Moment unserer Durchfahrt auf die Ernte wartete. Angrenzend an die Farmgebiete folgten die südwestlichen Ausläufer der Appalachen, wo die unendlich grossen Wälder meist zu den nationalen Wälder gehören.
Bald holperten wir über Waldwege in die Höhe, grüssten manch verdutzten Jäger und andere „Jeepisten“, die ihren Untersatz ebenfalls nicht nur auf Asphalt fahren wollen. Wir folgten wieder den Höhenzügen und verlockenden Wegnamen, wie z.B. Skyway, und diese führten uns immer weiter in die Höhe, bis wir eines Abends von einem Felsvorsprung in die weite Ebene von Birmingham (Alabama) blickten.
Zwei volle Tage verbrachten wir auf diesen Höhenwegen und beim Erreichen des Highways wussten wir auch, warum dies so lange dauerte; es war ein Jeep-Trail, der in diesem nationalen Wald von irgendeiner Offroadgruppe und amtlichen Segen angelegt wurde.
Unser nächstes Ziel war Moundville, wo heute noch die besterhaltenen Erdhügel aus der präkolumbischen Missisippi-Kultur zu finden sind und die entsprechende Ausstellung die nötige Hintergrundinformation vermittelte. Die präkolumbischen Kulturen pflegten über weite Gebiete zu anderen Gruppen Kontakt, wo u.a. ein gewisser Wissenstransfer stattfand, aber auch die Organisation, sowie Bauweise grosse Ähnlichkeiten aufwies.
Im nahegelegenen State-Park machte uns der Platzwart noch darauf aufmerksam, dass wir bei Dunkelheit nicht zu nahe ans seichte Seeufer gehen sollten; wir seien eben im Alligatorenland und diese beissen manchmal auch gerne in Menschenwaden!
Nebst dieser Echse schleichen, dank den höheren Temperaturen auch Schlangen umher und hier soll es ein paar der Giftigeren geben!
Weiter durchstreiften wir die weiten Wald- und Weidgebiete des südlichen Alabama bis zur Südgrenze, drehten dort nach Osten ab um wieder nach Georgia zu gelangen.
Es war ziemlich genau ein Monat her, als das südwestliche Georgia von Hurrikan „Michael“ getroffen wurde und in Blakely seine tiefen Spuren hinterliess. Überall standen schwere Maschinen herum, Dachdecker reparierten die beschädigten Dächer und an den Strassenrändern lagen grosse Mengen Fallholz für den Abtransport bereit. Für die Leute ist dies vermutlich eine wiederkehrende Realität, doch es wird noch Monate gehen, bis das Meiste wieder so ist wie es einmal war; anderes wird gar nicht mehr aufgebaut und bleibt, wie es der Sturm zugerichtet hat.
Vermutlich war auch der Wirbelsturm mit den anschliessenden Regenfällen mitverantwortlich, dass im südlichen Georgia noch viele Baumwollfelder auf ihre Ernte warteten und riesige Erdnussfelder vermutlich ohne abzuernten umgepflügt werden.
Nach rund 200 Kilometer war der ganze Spuke vorbei, die Dörfer und Landschaft präsentierten sich wieder absolut normal, als sei hier nie etwas gewesen. Eine verrückte Sache, diese Wirbelstürme, bei denen niemand genau sagen kann; wie, wann und wo sie das nächste Mal werden!
Je mehr wir den Atlantik zu steuerten, desto schwieriger wurde unsere Routenplanung, wir wollten weiterhin Highways und anderen Schnellstrassen meiden und über Nebenwegen dem Meer zusteuern. Die Flussläufe ziehen hier von Nordwesten nach Südosten und besitzen beidseitig grosse angrenzende Feuchtgebiete; Brücken gibt es nicht alle paar Kilometer, sondern müssen gezielt angefahren werden. Auch zwangen uns grosse private Grundbesitze, wo eine Durchfahrt meist verboten ist, zu grösseren Umwegen, oder gar Rückfahrten auf irgendeine öffentliche Schnellstrasse.
Je länger wir durchs ländliche Hinterland der beiden Südstaaten, sowohl in Alabama als auch in Georgia fuhren, desto mehr fiel uns das Nord-Süd-Gefälle auf. In beiden Staaten gibt es im Süden massiv grosse Unterschiede zwischen wohlhabend und arm. Auf „Lotterbuden“ folgen prachtvolle Ranchen mit entsprechenden Gärten – nein, es sind eigentlich Parks, die ums Haus herum angelegt sind. In den Städten sind es meist die Quartiere der schwarzen Bevölkerung, die eher in verlotterten Zustand sind, gefolgt von wunderbaren Wohnquartieren.
Auch die politische Stimmung ist sehr präsent und dies meist bei einfachen Behausungen, als wären sie die Grossgrundbesitzer!
Und; man trifft Leute, die eine Waffe im Holster offen herum tragen, als seien wir in einem Wildwestfilm. Sehr speziell!
Die Sonne stand bereits tief, als wir an einem ruhigen Samstagnachmittag den Atlantik erreichten, durch Brunswick und hinaus auf die vorgelagerte Halbinsel fuhren. Der bevorstehende Nationalfeiertag (Veterans Day) und das schöne Wochenende bewegten viele Leute in die gleiche Richtung und so war auf State-Park von Jekyll-Island einiges los. Für uns gab es hier draussen keine abendliche Bleibe mehr und erst spätabends erreichten wir bei Dunkelheit im Landesinnern ein Plätzchen, wo wir bleiben durften. Die Amis lieben es anscheinend auch in der Natur zu sein und nutzen jede Möglichkeit, die es ihnen erlaubt, irgendwo ihr Wohnmobil hinzustellen.
Bis zum Sonnenstatt Florida trennten uns noch wenige Kilometer und der bedeckte Himmel trieb unsere Fahrt südwärts noch zusätzlich an.
Die riesigen Flussdeltas, die beinahe alle unter staatlichem oder nationalem Schutz stehen, müssen weit im Landesinnern durchquert werden und nur durch einzelne Stichstrassen konnten die wenigen vorgelagerten Orte erreicht werden; diese sind ihrerseits nur auf dem Wasserweg miteinander verbunden und da kann unser Jeep, trotz Schnorchel, nicht mithalten.
Irgendeinmal, nach einer Brücke stand es da; das Willkommensschild zum Sonnenland und hier soll ja die Sonne ihr Bestes geben; wir freuten uns auf wärmere Tage.