Worst case

>Bilder ganz unten!

Arizona und New Mexico; wieder in den USA
Feucht wurden wir in den USA empfangen, doch wir fühlten uns, nach der Wegweisung der Paramilitärs auf der gegenüberliegenden Seite des Grenzzaunes, doch etwas sicherer; Regen hin oder her. Vom Organ Pipe Cactus N.M. begleiteten uns tief hängende Wolken und teilweise viele Regentropfen in nördlicher Richtung. Für diesmal folgten wir schön brav den gut ausgebauten Staatsstrassen, da wir in Tucson eine Jeep-Werkstatt aufsuchen wollten. Mein vertrauter Automechaniker im Allgäu (Allrad Pauli) empfahl mir, die hinteren Radlager zu ersetzen, da die viele leuchtenden Kontrolllampen irgendein Unheil ankündigten. Also, kein Risiko eingehen!

Draussen im Ironwood Forest fanden wir auf das bevorstehende Wochenende eine Bleibe für die kommende Nacht. Es war erneut feucht und der Himmel begünstigte die sonst sehr trockene Gegend mit reichlich Wasser. Die Wege waren bereits durchfeuchtet und der klebrige Sand stopfte unser Profil der AT-Reifen innert kürzester Zeit zu, was zu tollen Ausbrüchen aus der Fahrspur führte. Für den einen (Tom) viel Spass, meine Beifahrerin (Chantal) klammerte sich immer mehr am Haltebügel um nicht gleich durchs Auto gewirbelt zu werden. 🙂

Nach dem Regen schien auch in Tucson die Sonne und wir wollten unserem Vorhaben nachgehen. Doch es war Wochenende und alle Fachwerkstätten waren geschlossen. Etwas fahrlässig entschlossen wir uns, weiter zu fahren, da diese Fahrzeugstörung schon längere Zeit präsent war. Wir waren überzeugt, dass es sicher noch bis in die nächste Stadt reichen würde. So setzten wir unsere Fahrt etwas unbekümmert in östlicher, später nordöstlicher Richtung fort. Nach dem Besuch der Pueblo-Siedlung in Acoma sollte es in direktem Weg nach Albuquerque in die Werkstatt gehen.

Soweit kamen wir aber nicht mehr: Hinter den Santa Catalina Mountains war auf weiter Flur Schluss mit der Fahrfreude. Auf der Holperstrasse machte unser Auto, bzw. die Getriebeautomatik was sie wollte. Schaltete hoch, dann wieder runter und bei offenem Drehmomentwandler heulte der Motor auf. Tja, das war es wohl; Ende der Fahrt! Nach einer Durchprüfung der Fehlermeldungen setzten wir die Bremsüberwachungslampe zurück und siehe da, unser Automatikgetriebe verrichtete wieder seine Arbeit. Warum dies so war, ist mir unerklärlich; was hat die Bremsstörlampe mit dem Getriebe zu tun? Manuelles Schalten über die Tiptronic war zwar nicht mehr möglich, doch wir konnten zurück in Richtung Tucson fahren.

Auf der Autobahn schlichen wir die Steigungen hoch und zu guter Letzt kochte das Getriebe. Dass es so viele Warnleuchten in einem Auto gibt und diese alle auf einmal aufleuchten können, wusste ich bis anhin nicht. In den flachen Autobahnabschnitten erholte sich alles wieder etwas und wir waren zuversichtlich, noch vor Arbeitsschluss in irgendeiner Jeep-Werkstatt um Hilfe zu bitten. Doch soweit kamen wir nicht mehr; mitten auf einer Kreuzung blieb unser Jeep einfach stehen! Das Getriebe ging vom Notlauf in „gar nichts mehr“. Das Hupkonzert war uns sicher und auch den bekannten „Vogel“ aus Europa machte uns darauf aufmerksam, dass wir die Fahrbahn endlich frei geben sollten.

Unser Adrenalinspiegel war schon von der Rückfahrt hoch, nun schoss er gleich oben aus unseren Köpfen heraus. Fragend schauten wir uns an und wussten nicht was zu tun sei. In Windeseile wechselte Chantal von der Beifahrerseite auf den Fahrersitz und ich versuchte die dreieinhalb Tonnen an den Strassenrand zu schieben. Ich hätte es zwar wissen müssen: So eine schwere Fuhre schiebt man nicht einfach weg. Trotzdem wollte ich es versuchen, bis ein unheimlicher Schmerz durch meine rechte Wade fuhr. Vielleicht hatten die hupenden Amis meinen Aufschrei und mein schmerzverzerrtes Gesicht gesehen. Es war plötzlich still. Einer schleppte uns dann mit seinem schweren Pick-Up zur nächsten Tankstelle, weiter wollte oder konnte er nicht. Selbst auf unsere Bitte, die drei Häuserblocks uns bis zur Jeep-Werkstatt zu schleppen, wollte er nicht. Ob es am Waffenarsenal in seiner Fahrerkabine lag, wissen wir nicht, könnte aber ein Grund gewesen sein.

Nach einer gewissen Zeit der Abkühlung und erneutem Zurücksetzen eines Fehlers konnten wir selber zur besagten Werkstatt fahren. Leider waren wir nicht die einzigen „Jeeper“, die Hilfe vom Fachmann wünschten und so erhielten wir einen Termin für  die kommende Woche; früher hätten wir keine Chance, dass irgendein Techniker die Fehler auslesen könnte und für Reparaturen müssten wir uns noch etwas mehr gedulden. Frustriert setzten wir uns wieder in den Jeep und durchquerten Tucson zur Hauptverkehrszeit. Auf der gegenüberliegenden Stadtseite gibt eine weitere Jeep-Werkstatt.

Mit viel Bangen und Schmerzen in der Wade (Tom) tuckerten wir durch die Stadt, was schlussendlich – mehr oder weniger – gut klappte. Doch auch bei der zweiten Werkstatt hiess es Feierabend, kommt morgen früh, dann verbinden wir einmal den Diagnosecomputer mit unser Auto.

Wir fragten noch, ob wir auf dem Werkstattgelände für die Nacht stehen könnten. Freundlich aber unmissverständlich wurde uns erklärt, dass nachts keine Menschen auf dem Gelände sein dürfe; Sicherheit. So fuhren wir wenige Kilometer zur Tucson-Mall und suchten uns auf dem weitläufigen Parkplatz ein ruhiges Plätzchen für die kommende Nacht. Doch kaum hatten wir den Kochtopf auf den Kocher gesetzt, schon blickte es neben unserem Auto und ein Security machte uns darauf aufmerksam, dass wir hier nicht für die Nacht bleiben können. Das Auto kann, aber wir müssten irgendwo anders hin.

Etwas frustriert fanden wir zur späten Stunden noch einen RV-Park neben der Autobahn. Für viele Dollars konnten wir wenigsten ein paar Stunden in Ruhe stehen bleiben, ohne gleich weggewiesen zu werden. Wir wollten unbedingt sehr früh in der Werkstatt sein. So standen wir noch vor sieben Uhr an den Toren der Werkstatt. Ganze fünf Stunden dauerte es bis die Techniker mit einem Blatt voller Fehlermeldungen zu uns kamen. Für sie war alles ein Rätsel und sie tippten auf einen defekten ABS-Rechner. Ersatz gäbe es erst in etwa zwei bis drei Wochen wieder und andere Werkstätten wollten ihre ABS-Rechner aus dem Ersatzteillager nicht hergeben.

Ich versuchte ihnen das Wissen von Peter Pauli aus dem fernen Allgäu verständlich zu machen, dass das ganze Problem vom Radlagerspiel hinten her komme, wo der Geschwindigkeitssensor fürs Getriebe sei. Wenn von dort fehlerhafte Signale kämen, bringt es die ganze Steuerungselektronik durcheinander. Doch bald hatte ich das Gefühl, dass mein als auch Pauli’s Wissen nichts wert sei und nur sie hier im Jeep-Land etwas von diesem Auto verstehen würden. Auf meine Frage, ob das Auto auf Radlagerspiel überprüft wurde, verneinten sie und schauten immer noch auf den Ausdruck der vielen Störungscodes.
Für die Folgewoche erhielten wir einen erneuten Termin, wo weitere Untersuchungen angesagt waren. Toll!

Enttäuscht suchten wir eine Bleibe auf einem grösseren Campingplatz, wo gewisse Infrastruktur vorhanden war und Chantal mein lädiertes Bein besser verarzten konnte. Wir dachten beide, dass ich einen Muskelriss zugezogen hätte und schonten das Bein entsprechend. Noch vor dem bevorstehenden Wochenende schrieb ich dem Service-Manager ein ausführliches Mail, wo ich Pauli’s Vermutung noch einmal wiedergab, in der Hoffnung, dass sich etwas in Richtung baldiger Reparatur bewegen könnte und nicht noch weitere Abklärungen getroffen würden.

Meine gesundheitliche Situation verschlechterte sich in den letzten Tagen und ein Gehen ohne Stöcke war nicht mehr möglich. Dafür bewegte sich in der Werkstatt einiges und – oh Wunder – der Chefmechaniker wechselte die hinteren Radlager. Nach fünf Stunden warten in der Werkstatt-Lobby kam der Chefmechaniker strahlend von der erfolgreichen Testfahrt zurück; „ja, so einen Diesel fuhr er noch nie!“ Nach dem Nachfüllen des fehlenden Getriebeöls und Ersatz weitere Verschleissteile war die Arbeit getan. Bei der Bezahlung staunte ich (Tom) nicht schlecht über die recht hohen Ersatzteilpreise. Great America und alle Teile stammen aus dem Fernost!

Für den Jeep war „Ende gut, alles Gut“ und unser fahrbares Zuhause verrichtete seine Arbeit, die ihm zugedacht ist und die vielen Störlampen waren alle dunkel. Dafür kämpfte ich (Tom) mit zunehmenden Schmerzen am rechten Unterschenkel, unterdessen war dieser ganz geschwollen und farbig. Dank der Automatik, konnte ich mit dem linken Fuss das Fahrzeug bewegen, was recht gewöhnungsdürftig war. Auch änderten wir unsere Route und fuhren auf direktem Weg in Richtung Alamogordo/New Mexico.

Trotz weiterer Schmerzen liessen wir die San Francisco Mountains nicht aus und überquerten auf vielen Nebenstrassen wunderbare Landschaften. Es war Frühling und überall gediehen frische Pflanzen und die vielen Blüten verzauberten die Gegend. Es war auch bald wieder Wochenende, als wir östlich von Silver City in den Mimbres Mountains die Nacht verbrachten. Inzwischen musste Chantal auch sämtliche Arbeiten bei unseren abendlichen Camps ausführen; ich konnte nicht mehr richtig zupacken und humpelte mit meinen Stöcken ihr hinterher. Mein rechter Unterschenkel war wie ein Ballon aufgeblasen und schmerzte, als würde er nächstens platzen.

Statt zurück nach Silver City zu fahren, setzten wir unsere Fahrt weiter und wollten in Las Cruces eine Walk-In Klinik aufsuchen. Doch inzwischen war es erneut Samstag und die gewünschte Klinik geschlossen. Zur Notfallstation im örtlichen Spital wollten wir nicht gehen, da wir zu viele Hemmnisse befürchteten, obwohl die Rötung am Untersenkel weiterhin zunahm. Wir waren auch inzwischen etwas überfordert und wussten plötzlich nicht mehr so richtig, was meine Verletzung sein könnte. Sämtliche Massnahmen der Linderung schlugen fehl.

In Alamogordo klappte es endlich mit dem Besuch in einer Walk-In Klinik, wo wir nach drei Stunden ans örtliche Spital weiter verwiesen wurden. Sie konnten für mich (Tom) keine weiteren Abklärungen machen, gebrochen war nichts. Das Problem sei viel tiefgreifender als wir es annahmen! So war an diesem Montagnachmittag viel Geduld angesagt. Viele Leute sassen bereits in der Wartehalle und hofften auf einen baldigen Untersuchungstermin. Nach der ersten Triage und Vorabklärungen wollte die Warterei kein Ende nehmen. Irgendeinmal weiss man nicht mehr, wie man sitzen soll und wir waren immer wieder erstaunt, dass später Ankommende vorgezogen wurden.

Am späteren Nachmittag, nach ca. 5 Std. warten, war es dann auch für uns soweit und wir wurden in ein Untersuchungszimmer geführt. Erneut die vielen wiederkehrenden Erklärungen, was in diesem speziellen Bereich sehr fordernd war. Zwar wurde eine Liveübersetzerin per Internet zugezogen, was trotz all den Bemühungen nicht zum gewünschten Erfolg führte; in deutscher Sprache stand niemand zur Verfügung und jene in französischer Sprache hatte sogar Chantal Mühe der Konversion zu folgen. Übersetzungsprogramme in den Mobiltelefonen halfen schlussendlich weiter und die speziellen Fachausdrücke waren kein Hindernis mehr.

Dafür war für uns die Diagnose etwas niederschmetternd: Beim Schiebeversuch in Tucson war es kein Muskelgewebe, das nachgab, sondern eine Vene muss einen Riss erlitten haben, was auch die Ursache der Schwellungen und zu den blauen Verfärbungen im Fuss führten. Zur Therapie wurde ich zum teuren Medikamentenesser verurteilt, und in zwei Wochen müssen wir auf unserer Weiterreise erneut eine Notfallstation aufsuchen, wo erneut abgeklärt wird, wie es weiter gehen soll. Der zuständigen Ärztin machte unsere Rückreise Ende Juni nach Europa Sorgen. Sie meinte nur, dass es nicht einfach und alles sehr sportlich sein werde.
Tja, tolle Aussichten!

Spät abends kehrten wir auf den Campingplatz zurück und sassen noch eine Weile draussen in der milden Nacht. Wenige Worte wechselten wir noch, da erneut viele neue Fragen offen standen. Vielleicht müssen wir in Amerika bleiben?

Chantal u. Tom/April 2024