Bolivien

>Bilder ganz unten!

….in Warteschlaufe!

Der Einstieg in Bolivien, von Chile her kommend, war extrem. Nein, nicht die Landschaft, die sehr schön und abwechslungsreich ist, sondern das Ganze drum herum und wie die Menschen leben. Für uns Europäer und da zählen wir uns dazu, ist das alltägliche Chaos faszinierend als auch abschreckend. Schon bei der Ankunft in „La Paz“ blieb uns die Spucke weg. In den kommenden Tagen fragten wir uns immer wieder, wie bei einem solchen Chaos noch etwas funktionieren kann.

Das Zentrum vom „La Paz“ erkundeten wir zu Fuss und mit der Luftseilbahn, die uns ein sehr eindrückliches Bild von oben vermittelte und das emsige Treiben unten in den Strassen gleich vor Augen führte. Als Führer hatten wir einen Deutschen, der vor langer Zeit hier hängen blieb und die Stadt als auch das Land mit seinen Sitten sehr eindrücklich erklärte. Was er uns alles erzählte, steht vermutlich nicht in jedem Reiseführer; sehr kritisch, humorvoll und ebenso aufmunternd. Doch chaotisch blieb es trotzdem.

Als Abwechslung zum städtischen Treiben erlebte ich (Tom) und weitere Veloverrückte aus unserer Gruppe eine Biketour ausserhalb der Grossstadt auf der berüchtigten „Rute de la Muerte“. Diese Strasse war lange Zeit die einzige Verbindung von „La Paz“ ins nordöstliche Tiefland und war als Todesstrasse in aller Welt bekannt. Dank einer neuen Strasse steht heute diese Todesstrasse dem Freizeitverkehr offen und ist bei den Velofahrern sehr beliebt. Viele Reisebüros werben für die abenteuerliche Tour, wo viele Bikergruppen auf ihren Freeridebikes ganze 3‘500 Höhenmeter hinunter brausen. Es war ein Abenteuer, und die vielen Kreuze am Strassenrand zeugen heute noch von den unzähligen Dramen und Todesfällen. Bei den vielen Engstellen und Abhängen war selbst mit dem Fahrrad „stürzen verboten“; um weitere Kreuze zu vermeiden! Nach den vielen Höhenmeter wurden wir samt den Bikes im Kleinbus zurück nach „La Paz“ gefahren. Doch selbst die Rückfahrt auf der neuen Strassen war kaum besser als der Ritt auf der Todesstrasse; haarsträubende Überholmanöver und Unfälle waren Zeugen der wahnwitzigen Auto- und Lastwagenfahrer in diesem Land.

In der Zwischenzeit war auch klar, dass wir unsere Reise nicht wie geplant nordwärts in Richtung Peru fortsetzen können. Die anhaltenden Unruhen weiteten sich eher aus als dass sie sich beruhigen würden. Von unserer Reiseorganisation wurde vorerst eine Warteschleife durch Bolivien und Nordargentinien geplant, so dass wir bei einer allfälligen Beruhigung in Peru sofort umdrehen und wieder Richtung Norden fahren könnten.

Bei dieser Warterunde durfte selbstverständlich der Titicacasee-See nicht fehlen und eine kleine Ecke dieses Sees gehört zum bolivianischen Staatsgebiet. So fuhren wir – 19 Wohnmobile – auf unterschiedlichen Routen erneut durch „La Paz/El Alto“ und erlebten alle etwa das Gleiche: Chaos auf den Strassen mit den unzähligen Märkten. Wenn der Platz am Strassenrand für die Marktstände nicht mehr ausreichte, wurde kurzerhand eine Spur der Strasse in einen Markt umgewandelt. Die vielen Klein- und Sammeltaxis versperrten mit Sicherheit eine weitere Spur, dazu kamen noch alle parkierten Autos, deren Fahrer am Markt einkaufen wollten – wenn man Glück hatte, blieb eine Spur für den Durchgangsverkehr frei.

Abends erreichten alle „Copacabana“  am Titicacasee-See und berichteten von den vielen eindrücklichen Erlebnissen während der Durchfahrt durch die Hauptstadt und den angrenzenden Vororten. Auch wir hatten teils haarsträubende Momente erlebt, doch meist konnten wir uns sehr schlank aus der Situation heraus retten; ein Vorteil eines kleinen und unauffälligen Campers.

Infolge eines der vielen Nationalfeiertage war in „Copacabana“ einiges los und auf dem See herrschte ein reger Ausflugsverkehr. Auch wir nutzten die Gelegenheit um auf dem höchst gelegenen und kommerziell schiffbaren See einen Tagesausflug zu der Sonnen- und Mondinsel zu unternehmen. Hier befinden sich – gemäss unserem Führer – viele Ausgrabungen und Zeugnisse von einer längst vergangenen Zeit. Bevor die Inkas das Gebiet unterwarfen, war hier eine andere Hochkultur anwesend. Bei der Rückfahrt wurde uns der Besuch auf einer schwimmenden Insel versprochen, was infolge des Wegfalles der schwimmenden Inseln in Peru sicherlich eine tolle Alternative gewesen wäre. Eben wäre; nur der Landesteg war schwimmend, das Restaurant lag auf einem stabilen Fels. Dafür schmeckte die frisch zubereitete Forelle ausgezeichnet.

Für die Weiterfahrt benötigten viele von uns den nötigen Saft für die Motoren, was in Bolivien für Ausländer oft schwierig ist. Treibstoffe wird in Bolivien vom Staat stark subventioniert. Für  Ausländer ist er doppelt so teuer und beinhaltet viel Papierkrieg. Will der Tankwart aus diesem Grunde einem Ausländer nichts verkaufen, so gibt es einfach nichts. Basta! Bei anderen Tankstellen bezahlt man einen kräftigen Aufpreis, doch ohne Quittung wurde es dann auch gleich wieder günstiger und der Aufpreis lief vermutlich gleich in die Tasche des Tankstellenbetreibers. Läuft man mit dem Kanister zur Tankstelle, so gab es den Diesel meist zum Tarif der lokalen Bevölkerung und niemand interessierte es, ob ich nun Ausländer bin oder lokaler Steuerzahler. Gottseidank verbraucht unser Jeep nicht allzu viel und so beschränkte sich die Schlepperei mit dem Kanister auf wenige Momente.

Mit vollem Tank steuerten wir das geistige und kulturelle Zentrum der “Tiwanaku” an. Diese Kultur entstand vor rund 4000 Jahren und wurde erst durch die Ausweitung des Inkareichs kolonialisiert. Eigentlich verwunderte es mich immer wieder, dass bei uns in Europa hauptsächlich von den Inkas gesprochen wird – die anderen Kulturen sind beinahe inexistent.

Über „Cochabamba“, dem Ort mit der zweitgrössten Jesus-Statue auf dem Hausberg erreichten wir „Sucre“, dem noblen Wohnort der gehobenen Gesellschaft aus „Potesí“. Wir meinten, dass wir durchs Zentrum gefahren wären und wollten gleich am Folgetag weiter fahren, da uns das ganze Drumherum in dieser Stadt gleich abstiess. Der Stadtführer überzeugte mich anschliessend, dass ich ihn doch in die Stadt folgen sollte. Dies war letztendlich kein schlechter Entscheid: Das Zentrum war mehr als nur einen Besuch wert. Der historische Teil konnte bis heute vor dem Verfall oder Abriss gerettet werden und ist immer noch ein Zeugnis des einstigen Reichtums aus dem Silberabbau im benachbarten „Potesí“. Übrigens, lange Zeit war „Sucre“ das politische Zentrum und Hauptstadt Boliviens bis irgendein Präsident die politischen Geschäfte nach „La Paz“ verschob. Das höchste Gericht blieb jedoch in “Sucre“, Doch – so unser Führer – hat dieses Gericht eher ein Alibifunktion und mit etwas Geld kann manches beeinflusst werden; was in armen Ländern oft der Fall sein kann, und Bolivien gehört zu einem der ärmsten Ländern Südamerikas.

Bei der Durchfahrt von „Potosí“ wählten wir diesmal die Fahrt über den Hauptplatz, so dass wir anders entscheiden konnten. Nebst dem schönen Platz beim Rathaus und der Kathedrale, der ältesten Münzprägerei Südamerikas war unser Hunger nach weiteren Sehenswürdigkeiten bald gestillt. Das Chaos war für uns wieder einmal typisch und das Regenwetter verstärkte vermutlich das Erlebte noch sehr. Vom „Cerro Rico“ sahen wir infolge der tiefhängenden Wolken eh nichts und als Ausländer darf man an den Flanken dieses einstigen Vulkans nicht nach dem Silber graben. Dass gerade wegen diesem Berg und seinem Silbervorkommen die spanische Krone lange an Bolivien festhielt und der Befreiungskampf viel Blut kostete, zeugt heute noch von der einstige Gier nach Gold und Silber.

Nach der pulsierenden Stadt legten wir eine ruhige Nacht auf einem Landgut ein. Dieses gehörte früher einer bedeuteten Familie, die ihren Reichtum am „Cerro Rico“ mit Silber verdiente, und wurde vor knapp 100 Jahren von einem reichen Franzosen übernommen und zu einem Hotel-Museum umgebaut. Ein Museum, wo alle Hotelgäste in den meisten Räumen frei umher gehen können und selbst uralte Bücher anfassen dürfen; bei uns wäre schon alles hinter Glas und Schutzatmosphäre verpackt; aber, andere Länder andere Sitten.

Chantal und ich verabschiedeten sich von der Gruppe und kletterten auf abenteuerlichen Wegen durch die „Cordillera de Chichas“ der Eisenbahnlinie entgegen, die noch heute über 4‘600 Meter hoch steigt und viele Mineralien an die Pazifikküste bringt. Durch viele Täler erreichten wir endlich am späteren Nachmittag den höchsten Punkt und konnten unseren Zeitplan nicht mehr ganz einhalten. Die Höhe und dicke Wolken trieben uns jedoch an, ein tieferes Gebiet und Übernachtungsort zu finden. Nebst der Höhe und den direkten Folgen der dünnen Luft machten mir die immer häufigeren Blitze mehr Sorgen. Bei einem stillgelegten Bahnhof – die Eisenbahn fährt noch vorbei – fanden wir schützende Mauern und einen sicheren Ort für die kommende Nacht.

Der Regen war recht ausgiebig und am kommenden Tag erlebten wir Regenzeit im bolivianischen Hochland, wo selbst einfache Strassen (Pisten) plötzlich Schleuderparcours sind und unser Jeep bald von unten bis oben in einem braun-schwarzen Kleid daher kam. Auch kehrten wir am Rande des „Salar de Uyuni“ (Colchani) vorzeitig um: Der Schlamm und Morast wurde immer tiefer und auf eine Selbstrettung mit unseren Maxtrax (spez. Sandbleche) oder gar Seilwinde hatten wir bei diesem Regenwetter definitiv keine Lust.

Für den Besuch oder das Befahren des „Salar de Uyuni“, den zweitgrössten Salzsee dieser Erde, buchten wir mit anderen Gruppenmitgliedern eine Tour im Geländewagen. Die Fahrt im eigenen Auto, das heisst wir mit unserem Jeep, käme einem intensiven Salzbad gleich und da setzten wir uns lieber in den Geländewagen eines lokalen Anbieters. Dass bei der Organisation einer solchen Tour bei Individualtouristen oft gewisse Unstimmigkeiten entstehen können, versteht sich fast selbstredend. So wurden schlussendlich zwei unterschiedliche Veranstalter beauftragt, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Ich (Tom) war mit zwei anderen Gruppenmitgliedern der „Panamericana“ unterwegs und legten Wert auf den Salzsee zu „erfahren“, d.h. viele Kilometer auf diesem zurück zu legen. Die andere Gruppe, wo Chantal mitfuhr, legten zwar deutlich weniger Kilometer zurück, dafür wurde ihnen viel über den Salzsee und dessen Nutzung mitgegeben und zu guter Letzt erlebten sie bei einem Glas Wein den Sonnenuntergang im südöstlichen Teil, der während der Regenzeit unter Wasser steht,. Während sich diese Gruppe der untergehenden Sonne erfreuen konnte und am Weinglas nippte, jagte unser Guide mit seinem Geländewagen der Zeit hinterher und donnerte über die Salzfläche jener mit Wasser zu; doch die Sonne entschwand ohne uns hinter den Wolken. Tja, auch hier geht manchmal etwas schief. 😉

Nach dem halbprivaten Ausflug zum Salzsee setzten wir unsere Reise erneut in südlicher Richtung fort. Der gemeinsame Zusammenschluss unserer Warteschlaufe war in Salta/Nordargentinien geplant. Während die restliche Gruppe durch die Weinregion „Tarija“ der argentinischen Grenze entgegen fuhr, steuerten wir – die Salzsee-Reisenden – den Übergang von „Villazón“/“La Quiaca (Arg.)“ zu.

Nach den weiten Ebenen und unzähligen „Cordilleras“ erreichten wir endlich die Doppelstadt, wo sich mittendurch die Landesgrenze zieht. Fast unwissend steuerten wir dem Grenzposten an, waren vom Treiben der Händler und vielen Leuten auf der bolivischen Seite etwas überrascht; alles wieder chaotisch und trotzdem immer ein Blick wert. An der Grenze wurden wir gleich wieder zurück gewiesen; bevor wir nicht die Papiere erledigt hätten, dürfen wir hier nicht anstehen noch parken. Auf einem unbewachten Parkplatz stellten wir unseren Jeep neben die Fahrzeuge der bereits anwesenden Gruppenmitglieder und machten uns zu Fuss zur Grenzstation.

Wofür andere unserer Gruppe fast 5 Stunden benötigten, waren wir in knapp einer Stunde durch und hatten alle Stempel und Papier für die Ausreise beisammen. Doch kaum machten wir uns auf dem Weg zurück zum Jeep, schon wurde uns mitgeteilt, dass bei einem Camper eingebrochen wurde und viele elektronische Geräte entwendet wurden. Schock! Wie sieht es bei unserem Auto aus? Und noch etwas anderes: Wie kommen wir zu unserem Papier, das mit einer Nummer und Reihenfolge für den Übertritt nötig ist?

Was wir erneut nicht wussten, neben unserem freien Parkplatz lag der offizielle und bewachte Parkplatz, wo man auch die entsprechende Nummer für den Grenzübertritt bekommt und alles etwas einfacher gemacht hätte. Für die letzten „Bolivianos“ ergatterten wir das entsprechende Papier und hofften, dass an diesem Tag noch ein Übertritt nach Argentinien möglich sei. Unsere Nummer war entsprechend hoch und liess bereits schlimmes erahnen. Plötzlich wurden alle noch Anwesenden unserer Gruppe etwas nervös und es hiess, dass wir unverzüglich zum Grenzposten fahren dürften. Diese Nachricht schlug bei allen – Bolivianern, Argentiniern und Touristen – entsprechend ein und schon gab es vor dem Grenzposten das erste Gedränge. Ein Offizieller stellte die Fahrzeuge noch entsprechend auf der Strasse auf, so dass ein Durchgang frei blieb. Plötzlich war dieser verschwunden (vermutlich Feierabend) und schon war es mit der Ordnung in der Warteschlange vorbei. Jeder dachte, dass er mehr Rechte vor dem andern hätte und je näher wir uns dem Grenzposten näherten, desto rücksichtsloser wurde mit den Autos in mögliche Lücken gedrängt. Die verbalen Attacken waren untypisch für die sonst sehr ruhigen Südamerikaner und Handgreiflichkeiten machten die Runde. Während eine kleinere Person unserer Gruppe aus ihrem Fahrzeug ausstieg um die Reihenfolge zu erhandeln, kam sie in eine etwas ungemütliche Lage, was wiederum Chantal zur Intervention auf den Plan rief und mit ihrer Grösse bei den kleineren Südamerikanern doch einen gewissen Respekt auslöste. Doch während dieser Aktion nutzen andere die Situation schamlos aus, den Fahrer des betreffenden Fahrzeuges zu bedrohen und gleich alles aus dem Fahrzeug zu entwenden, was sie konnten. Ich glaube, so etwas nennt sich Raub!

Das Herz klopfte immer noch kräftig und vor mir (Tom) versuchte sich ein PKW-Fahrer in die enge Lücke zu zwängen. Hatte er meine Stahlstossstange noch nicht bemerkt? Geistesgegenwärtig fragte ich ihn nach seiner Nummer für den Grenzposten und er hatte die 77 und wir die 78. Für uns war es gleich logisch, dass er sich vor uns aufstellen durfte, und so hatten wir gleich einen Kleinkrieg verhindert.

Und die Grenzkontrolle? Für uns Touristen eher eine reine Formsache, neugierig wurden unsere Fahrzeuge inspiziert, während die Argentinier meist ihr ganzes Fahrzeug zur Kontrolle entladen mussten. Gesucht wurden Drogen aller Art, während wir fast freundlich zur Weiterfahrt aufgefordert wurden.

Kurz vor Mitternacht erreichten wir – die komplette Kleingruppe vom Salzsee – endlich die argentinische Seite und waren froh, dass die voraus fahrenden schon einen entsprechenden Platz für die Nacht gefunden hatten. Todmüde legten wir uns bald zur Ruhe und viele Gedanken wälzten sich im Kopf herum und Fragen blieben unbeantwortet, wie es wohl sein würde, wenn man in Peru in irgendeine Strassensperre gerät und nirgendwo Ordnungskräfte bereit stehen würden.

Wir sind zwar noch in Warteschleife und warten ruhigere Zeiten in Peru ab, doch das Erlebte liess die Hoffnung gleich noch etwas mehr schwinden; die Neuigkeiten aus Peru sind alles andere als ermutigend.

Abwarten und Tee trinken – kommt Zeit kommt Rat. :-/

Chantal & Tom/14. Feb. 2023