Von Null auf 4800 und wieder auf Null

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Der Fitz Roy (Granitberg) winkte uns zum Abschied noch etwas verschämt zu und bald war dieser in unserem Rückspiegel verschwunden. Für uns, als auch die ganze Gruppe, ging es auf der „Panamericana“ weiter nordwärts. Ob es nun wirklich diese Traumstrasse ist oder nicht, entzieht sich meinem Wissen. Hier im südlichen Amerika wird um ganz komische Dinge gestritten, z.B. wer den Pisco (Weinbrand) erfunden hat oder woher die Kartoffel genau herkommt. Auch mit der „Panamericana“ ist es nicht anders; jedes Land meint, das Original zu haben.

In „Las Horquetas“ (Ruta 40) schlossen wir uns zwei Reisepaaren für einen Abstecher nach Chile an. Ein Paar wollte auf der anderen Seite der Anden Verwandtschaft besuchen, das andere Paar hatte von der weiten und flachen argentinischen Pampa genug gesehen und sehnte sich wie wir, nach etwas Abwechslung und Abenteuer. Und zu meiner Verwunderung (Tom), genehmigte unser Reiseleiter diese Idee und meinte, es sei ja unsere Reise, mit der Einschränkung, dass bei irgendwelchen Problemen die Unterstützung gering bis gar nicht möglich sei. Ob dies der Grund war, dass nur wir – 3 Fahrzeuge – den Abstecher auf die chilenische „Carratera Austral“ wagten, oder ob es an den vielen hundert Kilometer Schotterstrasse lag, wissen wir nicht!

Doch gleich vorweg: Der Abstecher lohnte sich und nach den endlosen Kilometer durch die Weiten des argentinischen Patagoniens wurden wir mehr als nur belohnt. Je näher wir gegen die Berge fuhren, desto abwechslungsreicher wurde es. Chantal und ich genossen ebenfalls die Vorzüge unseres „Mini-Campers“ und wagten weitere Zusatzschleifen, ehe wir uns der argentinisch-chilenischen Grenze näherten. Die jeweiligen Grenzposten, die mehrere Kilometer auseinander liegen und nur durch einen einfachen Fahrweg verbunden sind, bestehen aus ein paar Gebäuden. Die jeweilige Nationalpolizei erledigte gleich sämtliche Zollformalitäten. Bei der argentinischen Seite war alles schnell vorbei, da gleichzeitig die WM Halbfinal stattfand. Sie vergassen sogar uns den Durchfahrtschein mitzugeben, wo Chile zum Glück Verständnis zeigte. Für die total 3 Fahrzeuge, die an diesem Tag die Grenze wechselten, reicht vermutlich diese Grenzbesetzung aus und statt unsere Daten in einen Computer einzutippen, wurde alles fein säuberlich in dicke Bücher eingetragen und uns handschriftliche Papier fürs Fahrzeug ausgehändigt.

Schon nach der wunderbaren Zufahrt verwandelte sich die Landschaft komplett: Nach der trockenen Gegend östlich der Anden, wuchert auf der westlichen Seite eine unbeschreibliche Vegetation. Saftige Wiesen an den Berghängen, dichte Wälder, und die schneebedeckten Gipfel mit ihren Gletschern rundeten das visuelle Erlebnis ab. Von den Bergen stürzten wilde Bäche in die Tiefe, und grosse Wasserströme zogen durch den Talboden. Touristisch werden hier viele Dinge angeboten; schon überall wurde um sämtliche Outdooraktivitäten geworben und die lokale Bevölkerung bereitete sich auf die vorstehende Urlaubssaison vor.

Am Lago General Carrera, der auf der argentinischen Seite Lago Buenos Aires heisst, stoppten wir für einen Besuch der Marmorhöhlen. Einzelne Anbieter hatten ihre Bootsfahrt wegen heftigem Wind und Wellengang bereits eingestellt. Doch wir fanden noch einen, der eine letzte Fahrt hinaus auf den See anbot. Die 40 Minuten Über- und Rückfahrt waren eine entsprechend schaukelnde Fahrt und die, die draussen entlang der Reling sassen waren entsprechend nass. Bei den Höhlen, resp. Einbuchtungen war das Wasser relativ ruhig und wir durften das Naturschauspiel in aller Ruhe geniessen.

Beim Nationalpark „Lago Rosselot“ besuchten wir auf Anraten unseres Führers des Fitz Roy den Colgante-Gletscher (Hängegletscher). Zwar gestaltete sich der Eintritt in den Nationalpark als fast unüberwindbares Hindernis, da man den Besuch vorgängig im Internet buchen muss. Vor Ort, d.h. beim Eintritt selbst, stellten sich die Ranger auf stur und beriefen sich auf das vorgegebene Prozedere. Dies war echt mühsam; da wir zurück mussten, wo es Internet gab, den Eintritt buchen um wieder hoch zum Park zu fahren. Angeblich gäbe es beim Eintritt draussen in der Gebirgswelt kein Internet, doch bei unserer erneuten Ankunft wussten sie schon alles über uns und den gebuchten Eintritt. Dass wir dem Gletscher, der eigentlich kein Hängegletscher ist, fast die kalte Schulter zeigte, ist für einen Berggänger, der schon viele Gletscher sah und auf ihnen herum kletterte, fast verständlich. Doch der Weg über die steile Moräne, die mit einem dichten Urwald bewachsen ist, das war das eigentliche Naturschauspiel. So etwas sah ich noch nie!

Nach dem „privaten“ Chile-Abenteuer überquerten wir die chilenisch-argentinische Grenze und folgten unserer Gruppe in nördlicher Richtung nach „San Carlos de Bariloche“. Nach dem vielen Grün jenseits der Anden war die steppenartige Landschaft nicht mehr so eine Einöde, und je weiter wir uns „Bariloche“ näherten, desto grüner wurde es auch auf der argentinischen Seite. Um den „Lago Nahuel Huapi“ war es so grün, als wären wir irgendwo in Mitteleuropa. Plötzlich war uns klar, dass sich hier vor langer Zeit viele Menschen aus diesem mitteleuropäischen Raum ansiedelten und, u.a. die „Colonia Suiza“ gründeten. Auch mir würde es dort – um den „Lago Nahuel Huapi“ – unheimlich gut gefallen. 😉

Erneuter Wechsel über die Anden hinüber nach Chile. Während die meisten Gruppenmitglieder die Grenzkontrollen in einem relativ schnellen Tempo passieren konnten, wurden wir von den Chilenen gründlich untersucht. Der Zoll und die Beamten des Landwirtschaftsministeriums wollten bei uns in den hintersten Winkel schauen, und jede Kiste musste geöffnet werden. Selbst die vier Boxen auf dem Dach mussten herunter genommen und den prüfenden Blicken der Beamten präsentiert werden. Frank – einer unserer Gruppenleiter – meinte anschliessend lachend, dass ich vermutlich einen etwas suspekten Eindruck bei ihnen erweckte und deshalb die Kontrolle so gründlich ausfiel.

Auf der chilenischen Seite liessen wir Puerto Montt aus, da die Stadt nicht mehr sicher ist. Beim Besuch des Fischmarktes wäre das Risiko eines Diebstahls beim geparkten Wohnmobil relativ gross, so die Empfehlung eines deutschen Bierbrauers. Bei ihm konnten wir all unsere Wohnmobile in den Garten stellen und wieder einmal ein leckeres Bier aus einer Kleinbrauerei geniessen.

Anstatt den Fischmarkt genossen wir die weite Landschaft, die mit vielen Seen und grossen Weiden zum „durch die Landschaft cruisen“ einlud. Bei der Wanderung an den Flanken des Osorno-Vulkans wurde ich fast vom Winde über die Abhänge geblasen und war froh, wieder im schützenden Jeep zu sein um die Weiterfahrt um den „Lago Llanquihue“ zu geniessen. Auffallend für uns war, dass in diesem Gebiet sich viele Deutsche niederliessen. Abends beim Bierbrauer kam die Erklärung, dass selbst nach dem zweiten Weltkrieg sich hier viele Deutsche vor einer möglichen Verfolgung durch die Alleierten Schutz in Chile suchten.

Unterhalb des leuchtenden und aktiven „Villarrica-Vulkans“ verbrachten wir unseren gemeinsamen Heiligabend. Wow, draussen sitzen, nur im T-Shirt das leckere Fleisch auf dem Grill brutzeln zu lassen und weit in die Nacht hinein zu plaudern – es war wirklich ein wunderbarer Abend. Leider mussten wir aber auch an unsere Weiterfahrt am Weihnachtstag denken; eine sehr weite Fahrt stand auf dem Programm, eigentlich nicht unsere „Lieblingsbeschäftigung“ – uns (Chantal/Tom) sind die Distanzen oft einfach zu weit.

So erreichten wir noch am Weihnachtstag ein Weingut, das durch einen Schweizer geführt wird. Nebst dem Weinanbau führt er noch ein Gasthof mit Ferienresidenzen, so dass er mehrere Standbeine hat und nicht komplett vom Weinbau abhängig ist. Nach der Führung durch die Reben, folgte der Besuch im Weinkeller und während beiden Aktivitäten wurde uns viel Wissenswertes über und um den Weinbau in Chile mitgegeben. Selbstverständlich durfte die Weinprobe im Keller nicht fehlen, bevor wir im Restaurant das feine Essen geniessen konnten.

Zum nächsten Zwischenhalt westlich von „Santiago de Chile“ stand erneut ein langer Weg vor uns. Der empfohlene Besuch des Weingutes „Santa Rita“ liessen wir aus, stattdessen verliessen wir bald wieder die chilenische Autobahn und steuerten die Pazifikküste an. Ah, die chilenischen Autobahnen sind nicht mit unseren zu vergleichen; obwohl zahlpflichtig, gibt es überall Ein- und Ausfahrten zu einzelnen Häusern oder Geschäften, Lastwagen parken auf dem Seitenstreifen und die Fahrer nehmen in irgendeiner Imbisstube das Mittagessen ein, oder dass hier Fahrradfahrer, Traktoren oder Mähdrescher ebenfalls einen Anspruch auf diese schnelle Verbindung haben. Tia, andere Länder – andere Sitten. 😉

Unser Abstecher nach „San Antonio“ entpuppte sich bald als nervenaufreibend; auf rund 50 Km wurde die Strasse erneuert und einem besseren Standard angepasst, damit die schweren Lastzüge schneller dem Seehafen erreichen; andere Verkehrsträger als der Strassentransport gibt es in Chile nicht mehr. Die vielen wechselhaften Verkehrsführungen verzögerte unsere Fahrt zeitlich sehr. Dafür sahen wir bald den Pazifik und konnten diesem ein paar Kilometer in nördlicher Richtung folgen, bevor wir wieder durchs Gebirge ins Landesinnere in Richtung „Santiago“ und zu unserem Camp im Obstgarten westlich der Hauptstadt fuhren.

Mit einem ortskundigen deutschen Führer besuchten wir die chilenische Metropole, die Grossstadt, die eigentlich aus vielen einzelnen Städten besteht. Schon bei der Hinfahrt erzählte er uns sehr viel über seine neue Heimat, über die chilenische Geschichte und den Problemen des täglichen Lebens der Neuzeit. Teils sehr kritisch und mit einer gewissen Ironie brachte er vieles auf den Punkt. Nebst dem Zentrum mit all seinen offiziellen Regierungsgebäuden durchstreiften wir auch Stadtteile, wo vermutlich nicht viele Touristen hingeführt werden und das Klassendenken ist auch in Chile, besonders in der Hauptstadt Alltäglichkeit. Wer oben wohnt, gehört zur besseren Gesellschaft; wer das Pech hat, unten zu wohnen, der hatte wohl kaum die Möglichkeit für einen Aufstieg.

Bei „so viel Stadt“ sehnten wir uns wieder nach Landschaft und waren froh, wieder aus der städtischen Hektik hinaus zu fahren. Kaum hatten wir die Agglomeration verlassen, durchstreiften wir Täler, die immer mit höheren Bergen gesäumt wurden. Die tägliche Tour führte uns zum ersten hohen Pass und quasi zur „Feuertaufe“ für unseren Jeep: Verträgt er überhaupt solche Höhen? Europäische Autos sind nicht für  Höhen über 2500m gebaut, resp. die Motorsteuerung dafür programmiert. Doch beim Hochfahren in Richtung „Paso Cristo Redentor“, bzw. „Paso de Uspallata“ für die Argentinier, waren unsere Befürchtungen bald vergessen; die Landschaft war überwältigend und unser Jeep murmelte auch auf 3‘800 Meter zufrieden vor sich hin.

Die Fahrt vom Pass hinunter nach Uspallata war ebenfalls ein visuelles Erlebnis und die unterschiedlichen Gesteinsfarben machten aus der fast öden Gebirgslandschaft ein wunderbares Naturschauspiel. Auch bis Mendoza hinunter wäre es wunderbar gewesen, doch der Strassenverkehr beanspruchte unsere  ganze Aufmerksamkeit und die wunderbaren Ausblicke mussten vernachlässigt werden.

Von „Mendoza“ wollten wir – Chantal und ich – die östliche Pampa erneut verlassen und durchs Gebirge zum Provinzpark „Ischigualasgto“ fahren. Auch wollten wir die Strecke auf zwei Tage aufteilen, um die Landschaft besser geniessen zu können. So tuckerten wir über den „Camino las Lajas“ über zwei 3‘000 Meter hohe Pässe, ehemaligen Bergbaugebiete und den „Cerro Siete Colores“ Uspallata entgegen. Zwar waren wir abends etwas enttäuscht erst Uspallata erreicht zu haben, da wir doch ein paar Kilometer mehr fahren wollten. Doch der gewählte Weg über den „Camino las Lajas“ erlaubte uns nur ein sehr langsames Tempo und wir unterschätzten anfänglich die Strecke.

Schlussendlich war es gut, dass wir am Vortag in Uspallata blieben. Morgens beim Frühstück brach sich Chantal ein Zahn entzwei und zahnärztliche Hilfe war umgehend angesagt. Der lokale Zahnarzt hatte seine Praxis über die Festtage geschlossen und so mussten wir notgedrungen erneut hinunter nach Mendoza fahren, wo unsere Reiseleitung einen Zahnarzt ausfindig machen und für uns einen Termin um 19.30 Uhr vereinbaren konnte. Ja, so stellten wir unsere Weiterfahrt nicht vor und schon irrten wir durch die Gassen von Mendoza in der Hoffnung, dass wir vorzeitig zur Behandlung vorgelassen würden.

Wir hatten Glück; der Zahnarzt unterbrach seine Mittagspause und beorderte Chantal umgehend auf den Behandlungsstuhl. Gleich vorweg: Die Praxis war nicht mit unseren zahnärztlichen Einrichtungen zu vergleichen und schon das Äussere des Gebäudes ähnelte eher eines Abbruchprojektes als einer Arztpraxis.

Mit geschwollenem Mund kehrte Chantal nach kurzer Zeit zurück. Ende gut alles Gut – der Zahn konnte gerettet werden und sollte für die nächste Zeit wieder halten. So folgten wir – notgedrungen – den vorgegebenen Weg aus unserem Roadbook in nördlicher Richtung zum Provinzpark „Ischigualasgto“ und Nationalpark „Talampaya“. Der erste Park diente uns nur als Übernachtungsort, dafür wurden wir durch den Nationalpark „Talampaya“ in die Schlucht mit den Petroglyphen und steilen Sandsteinwänden geführt. Das abendliche Sonnenlicht verzauberte die Landschaft in wunderbare Farben und die Kondore, die über unsere Köpfe flogen, rundeten den Tag ab.

Den letzten Tag im Jahr 2022 genossen wir bei einem gemeinsamen Grill mit feinen Beilagen. Es war ein wunderbarer Abschluss des Jahres und bald wurde aufs neue Jahr angestossen. Wir sind gespannt, was uns das kommende Jahr alles an neuen Abenteuer und Erlebnissen bringen wird. Also; „Prosit Neujahr“!

2023-01-10/Chantal+Tom